Anna Netrebko in München:Annas Erleuchtung

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Münchner Opernfans freuen sich: Nach der Babypause steht Anna Netrebko in "La Bohème" wieder auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper.

Reinhard Brembeck

Sie sind beide fast gleich alt: Anna Netrebko, Jahrgang 1971, und Otto Schenks Münchner "La Bohème"-Inszenierung von 1969. Aber jetzt erst haben die beiden zusammengefunden; es ist Netrebkos erster Münchner Auftritt nach der Babypause. Auf den ersten Blick scheint dieses Gipfeltreffen bei Puccini kaum Probleme zu kennen, unterscheidet sich Schenks realistisch sentimentale Parisvision doch kaum von derjenigen Robert Dornhelms, der erst kürzlich seine "Bohème"-Verfilmung mit Netrebko in die Kinos brachte. Schon erstaunlich, wie wenig sich im Operngeschäft über die Jahrzehnte hin ändert.

Steht nach der Babypause wieder auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper: Opernstar Anna Netrebko. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Doch nach und nach werden Unterschiede zwischen München und Film deutlich. Das Bayerische Staatsorchester spielt idiomatischer, musikdramatischer und sängerfreundlicher als die BR-Sinfoniker im Film - auch wenn Dirigent Daniele Callegari diesen Vorteil kaum über gängige Routine hinaus zu nutzen versteht. Außerdem hat Netrebko als sich zu Tode hustende Arbeiterin nicht den schmerzgrüblerischen Rolando Villazón als Rodolfo zur Seite, sondern Joseph Calleja. Dieser Tenor aber ist wild entschlossen zum ultimativen Sängerwettstreit mit der Sopranistin.

Von Anfang an setzt Calleja auf Triumph, zielt auf Sieg. Das Fortissimo ist seine Heimat und so entsendet er einen Strahleton nach dem anderen. Was vokal beeindruckend ist, und vom Publikum mit stürmischem Beifall honoriert wird. Aber genügt diese unbedarft ungetrübte Siegerlaune für diesen mittellosen und wohl auch nur mittelmäßigen Dichter, von Eifersucht gequält, ohne Aussicht auf ein besseres Leben, in der Hartz-IV-Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zum Untergang verdammt?

Vokalduell von Netrebko und Calleja

Calleja macht sich, von ein paar geradezu falsettartig leisen Hochtönen abgesehen, die Sache singdarstellerisch allzu leicht - und es damit der Netrebko schwer. Denn die bietet von Anfang an auch Leises und Zwischentöne an. Ihre Mimì ist milde, dunkel timbriert, ganz ohne Extreme im Leben stehend. Ihre Soli sind Balsam.

Gegen Triumphator Calleja aber muss sie, allein um mithalten zu können, ebenfalls die großen vokalen Gesten auspacken, ob das nun zu Text und Situation passt oder nicht. Neben diesem Vokalduell verblassen Jessica Muirheads Musetta, Nikolay Borchevs Maler und Christian Riegers Musiker. Nur John Relyea bringt im Mantel-Monolog betörend leise Melancholie ins Spiel.

Die "Bohème" ist eine ganz große, aber auch ganz heikle Oper. Sie verlangt ein ausgeglichen und differenziert singspielendes Ensemble, einen Dirigenten, der die vielen Tempowechsel und Motivbezüge sinnvoll stimmig herausarbeitet, und eine Regie, die die Melange aus heftig kurzen Emotionsentladungen und einer brutalen Umwelt ins Lot bringt. Das ist schon für eine Neuproduktion eine kaum lösbare Aufgabe, geschweige denn für eine ergraute Repertoirevorstellung. Selbst wenn sie von einer Anna Netrebko erleuchtet wird.

© SZ vom 26.05.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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