Angst in Schrebergartensiedlung:Kinderschänder auf freiem Fuß

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Ein Kinderschänder geht in einer Schrebergartensiedlung ein und aus: bis zu seinem Strafantritt leben die Eltern in Angst.

Susi Wimmer

Abends, wenn es langsam dämmert, dreht Hermann Schwarz seine Runde. Er marschiert durch die Kleingartenanlage, vorbei am Spielplatz und schaut, ob Kinder allein dort sind. Erst vor kurzem hat er welche auf den Schaukeln entdeckt - und nach Hause geschickt.

Tatort: Idyllische Kleingartenanlage. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Denn seit der verurteilte Kinderschänder Christoph S. (Name geändert) wieder in der Unterschleißheimer Schrebergartenanlage ein und aus geht, leben die Eltern dort in Angst. S. war im April wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist und sein Anwalt Revision eingelegt hat, bleibt er bis zu seinem Strafantritt in Freiheit. Sechs und acht Jahre waren die beiden Mädchen alt, an denen sich der 66-jährige Rentner im Sommer 2004 laut Urteil vergangen hat.

Bei drei Gelegenheiten habe er die Nachbarskinder in seine Wohnung in München und in sein Schrebergartenhäuschen in Unterschleißheim gelockt. Nach den glaubhaften Schilderungen der Kinder soll S. sie im Intimbereich gestreichelt und an ihren Geschlechtsteilen manipuliert haben. Außerdem habe er die Mädchen nackt fotografiert und ihnen einen Pornofilm vorgeführt.

Christoph S. gestand die Taten teilweise und wurde vom Landgericht München I zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Für die aus dem Kosovo stammende Familie der Mädchen hatte der Missbrauch weitreichende Folgen: Da das Jugendamt der Meinung war, die Eltern seien nicht energisch genug gegen den Missbrauch vorgegangen, wurde ihnen das Sorgerecht für die Kinder entzogen. Die Mädchen leben jetzt in einem Heim.

Christoph S. führt unterdessen sein Leben weiter: Er hält sich häufig in der Kleingartenanlage am Münchner Ring auf, führt den Hund spazieren und sitzt vor seinem Gartenhäuschen. Von einer Gehbehinderung, so erzählt Garten-Vorstand Hermann Schwarz, "keine Spur".

Vor Gericht war S. mit einem Gehwägelchen erschienen, auf das er sich mühsam stützte. "Hier marschiert er kreuzfidel ohne Gehhilfe durch die Anlage", sagt Schwarz. Meist sei S. betrunken. "Und wer weiß, was er dann macht."

Nicht warten bis etwas passiert

In einer Versammlung haben die Kleingärtner beratschlagt: wie sie ihre Kinder schützen können. Beim ersten Punkt allerdings sind den Gärtnern die Hände gebunden: Sie erteilten S. zwar Hausverbot. Allerdings gehört der Schrebergarten S.'s geschiedener Frau, "und sie akzeptiert das Verbot einfach nicht".

Auch Unterschleißheims Bürgermeister Rolf Zeitler wurde eingeschaltet, aber der konnte ebenfalls nicht helfen. "Wir wollen aber nicht warten, bis etwas passiert", sagt Schwarz.

Dass "etwas passiert", davon ging das Gericht in der Verhandlung im April nicht aus. Zwar beantragte die Staatsanwaltschaft Haftbefehl, jedoch lehnte das Gericht ab. Richter Reinhold Baier sah keinen Grund, warum S. bis zum Antritt seiner Haftstrafe eingesperrt werden müsse.

Es bestehe keine Flucht- oder Verdunklungsgefahr und es gebe auch "keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungstat", erklärt Baier.

Die Taten hätten sich nur auf die beiden, ihm bekannten Nachbarskinder konzentriert. "Es gibt keinerlei Hinweise, dass er auch andere Kinder belästigt hat." Und für einen Haftgrund benötige man konkrete Anhaltspunkte. "Es ist der Normalfall, dass sich die Verurteilten bis zum Antritt ihrer Strafe auf freiem Fuß befinden", meint Baier.

Wann S. nun hinter Gitter muss, steht noch nicht fest. Sein Anwalt hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Diese muss er nun begründen, dann wird der Schriftsatz an die Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme geschickt, dann zurück ans Landgericht, dort werden die Papiere vorbereitet und gehen wieder zur Staatsanwaltschaft, dann nach Karlsruhe, bis schließlich der Bundesgerichtshof über die Revision urteilt. "August, September" werde es, schätzt Baier.

"Auf den nimmt man Rücksicht und steckt ihn nicht hinter Gitter - und was ist mit unseren Kindern?" Charlotte Steinberg (Name geändert) versteht die Welt nicht mehr. Die Mutter wacht nun mit Argusaugen über ihre elfjährige Tochter, wenn sie das Wochenende in ihrem Schrebergarten verbringen.

Vor ein paar Wochen hatte die Tochter Geburtstag, feierte dort im Garten und tummelte sich mit ihren Freundinnen auf dem Spielplatz. Vorstand Schwarz, der von dem Urteil gegen S. wusste, entdeckte abends die Mädchen und schickte sie sofort heim.

Nun sind alle Schrebergärtner informiert - und alarmiert. Die Eltern passen auf ihre Kinder auf, ein Mitglied, das seine Parzelle direkt am Spielplatz hat, ist quasi immer auf Beobachtungsposten. Und Hermann Schwarz dreht abends seine Runden: "Irgendetwas müssen wir doch tun."

© SZ vom 25.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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