Analyse des Wahlausgangs:Stadt, Rand, Frust

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Die Münchner wählen höchst unterschiedlich, und viel hängt dabei von ihrem Viertel ab. In den Außenbezirken etwa war die AfD relativ stark, in der Mitte dominieren Grüne und FDP

Von Jakob Wetzel

Die Innenstadt wählt links-liberal

Es scheint, als habe sich bei dieser Bundestagswahl eine neue Faustregel herausgebildet: Je näher ein Wahlbezirk in der Münchner Innenstadt liegt, desto höher sind tendenziell die Ergebnisse von FDP, Grünen und Linken. Sowohl CSU als auch AfD hingegen haben umgekehrt am Stadtrand gute Ergebnisse geholt. So hat die CSU in jedem der vier Münchner Wahlkreise zuverlässig ein starkes Standbein in den Außenbezirken: im Süden in Solln und Großhadern, im Osten in Trudering und Waldperlach, im Westen in Aubing und Langwied, im Norden in Feldmoching. Dort, in Feldmoching, Langwied und Aubing, hat auch die AfD gut abgeschnitten, freilich auf niedrigerem Niveau. Überdurchschnittlich viele Wähler fand die Partei auch im Hasenbergl und Am Hart sowie im Südosten in Neuperlach. Viele Stimmen erhielt sie auch in Milbertshofen und in Berg am Laim.

Grüne, Linke und FDP dagegen sind im Inneren stärker: Die Grünen etwa erreichten zwischen Nymphenburg und Haidhausen, Schwabing und Sendling nahezu flächendeckend hohe Zweitstimmen-Ergebnisse. Dort zählt auch die FDP einige Hochburgen, vor allem in Altstadtnähe sowie in der Maxvorstadt und Altschwabing sowie in Obermenzing, in Harlaching und Solln. In den Bezirken Altstadt-Lehel, Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt und Maxvorstadt erhielten FDP und Grüne gemeinsam mehr als 40 Prozent der Zweitstimmen. Die Linken wiederum genießen vor allem in einem südlich um die Altstadt verlaufenden Bogen Rückhalt: von der Maxvorstadt über die Schwanthalerhöhe, Sendling und Giesing bis nach Berg am Laim. Die SPD kam in keinem einzigen Stadtbezirk über 20 Prozent. Vergleichsweise viele Wähler fand sie vor allem in drei Gebieten: in Moosach, Freimann und Am Hart im Norden, im Westend, in Laim und Sendling-Westpark im Südwesten sowie in Berg am Laim, Giesing, Ramersdorf und Perlach im Osten.

Minusrekorde der Parteien

Einzelne Stadtteile waren für die Parteien ein besonders schlechtes Pflaster. Die CSU etwa, die im Bezirk Allach-Untermenzing ihren Höchstwert von 38,5 Prozent der Zweitstimmen einfuhr, erhielt in der Schwanthalerhöhe nur 20,8 Prozent, so wenige wie nirgendwo sonst - und doch mehr als die SPD in ihrem besten Bezirk, in Milbertshofen-Am Hart (19,3 Prozent). Am schlechtesten schnitten die Sozialdemokraten im Bezirk Altstadt-Lehel ab. Hier erhielten sie 12,7 Prozent der Zweitstimmen und waren nur viertstärkste Kraft hinter CSU, FDP und Grünen. Die FDP dagegen feierte in der Altstadt: 21,2 Prozent der Zweitstimmen entfielen hier auf sie. In Laim und in Ramersdorf-Perlach reichte es nur für 11,2 Prozent. Die Grünen wiederum hatten am Sonntag im Bezirk Feldmoching-Hasenbergl relativ wenig Erfolg (nur 10,9 Prozent der Stimmen, was freilich noch mehr ist als im Bundesdurchschnitt). Den höchsten Zuspruch fanden die Grünen im Bezirk Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt (25,6 Prozent). Ebendort schnitt wiederum die AfD mit 4,5 Prozent besonders schlecht ab, dicht gefolgt von den Bezirken Altstadt-Lehel (4,9 Prozent) und Maxvorstadt (5 Prozent). In Feldmoching-Hasenbergl hingegen übertraf die AfD mit 13,2 Prozent ihr bundesweites Ergebnis von 12,4 Prozent - das gelang ihr in München sonst nirgendwo.

Nichtwähler mögen keine Regierenden

In München leben 923 612 Wahlberechtigte, und 724 529 von ihnen gaben am Sonntag ihre Stimme ab. Das waren gut 71 000 Wähler mehr als 2013, die Wahlbeteiligung lag bei 78,4 Prozent (2013: 71,2 Prozent). Profitieren konnten davon aber nicht alle: Einen echten Stimmenzuwachs dank der früheren Nichtwähler verzeichneten fast ausschließlich Parteien, die in der vergangenen Legislaturperiode im Bund nicht regiert haben. Das hat das Statistische Amt der Stadt München mit Hilfe des "Multinomial-Dirichlet-Modells" berechnet. Dabei ziehen die Statistiker Rückschlüsse von den Wahlergebnissen in den Wahlbezirken auf die wahrscheinlichen Wählerbewegungen. Am Ende steht jeweils ein Saldo-Betrag. Folgt man dieser Rechnung, dann entschieden sich unter dem Strich 21 900 frühere Nichtwähler mit ihrer Zweitstimme für die AfD, 20 000 wählten in diesem Jahr FDP, 15 800 kreuzten die Grünen an und immerhin noch 6900 entschieden sich für die Linke. Die CSU dagegen profitierte nur von 1000 zusätzlichen Stimmen früherer Nichtwähler, die SPD gar nur von 400. Dafür gaben die Sozialdemokraten Tausende Stimmen vor allem an Linke, Grüne und FDP ab; die CSU hingegen verlor ihre Wähler vor allem an FDP und AfD.

Treue Grüne, unzuverlässige AfD-ler

Die treuesten Wähler haben in München nicht die Christsozialen, sondern die Grünen. 88 Prozent derjenigen, die der Partei schon vor vier Jahren ihre Zweitstimme gegeben haben, wählten die Grünen auch an diesem Sonntag - auch das hat das Statistikamt ausgerechnet. Keine andere Partei konnte sich demnach so gut auf die bewährte Wählerschaft verlassen wie die Grünen. Ähnlich zuverlässig waren nur FDP- und CSU-Wähler; bei der FDP lag die "Haltequote" bei 84 Prozent, bei der CSU sank der Wert von 90 Prozent (2013) auf jetzt 81 Prozent, das heißt also: Etwa vier von fünf der damaligen Wähler blieben der Partei treu. Abgeschlagen ist auch hier die SPD: Sie hatte einen Treue-Wert von nur 66 Prozent. Erstaunlich ist dagegen der Wert der AfD: Ihr blieben gar nur 37 Prozent der Wähler von 2013 treu, und das, obwohl die Partei ihren Zweitstimmenanteil von 4,5 Prozent auf 8,4 Prozent fast verdoppelt hat. Sie hat demnach nicht einfach nur zahlreiche neue Wähler hinzugewonnen, sondern ihre Wähler zugleich zum großen Teil ausgetauscht.

Strategische Grünen-Wähler

Ein weiteres Phänomen ist vor allem bei Wählern zu beobachten, die ihr Kreuz bei der Landesliste der Grünen gemacht haben. Zwar hat diese Partei auch bei den Erststimmen in München erheblich zugelegt: Vor vier Jahren erhielten ihre Kandidaten nur 11,3 Prozent der Stimmen, in diesem Jahr waren es 14,7 Prozent. Doch viele Wähler räumten dem jeweiligen Grünen-Kandidaten in ihrem Wahlkreis offenbar keine Chance auf das Direktmandat ein und wählten deshalb strategisch: Sie gaben ihre Erststimme der SPD und nur die Zweitstimme den Grünen. Daran könnte es nicht nur liegen, dass die SPD zwar bei den Zweitstimmen hinter den Grünen zurückblieb, aber deutlich mehr Erststimmen erhielt. Sondern daran könnte es auch liegen, dass die Einzelergebnisse nahezu spiegelverkehrt wirken: Während die SPD 159 der insgesamt 617 Urnen-Wahlbezirke in der Stadt für sich entscheiden konnte, gelang das den Grünen nur in zwölf Bezirken. Umgekehrt aber errang die SPD nur in 16 Wahlbezirken die Zweitstimmen-Mehrheit. Den Grünen gelang das in 102 Wahlbezirken.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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