Altlandrat:"Optimismus ist Pflicht"

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Eine Aufbruchstimmung stellt Gottfried Grimm (rechts, beim Spatenstich für das Altenheim Jesenwang 1985) fest, wenn er sich an seine ersten Jahre als Landrat erinnert. (Foto: Ortwin Scheider/Archiv Landratsamt Fürstenfeldbruck)

Gottfried Grimm, von 1972 bis 1990 Landrat, möchte, dass sich die Menschen im Kreis wohlfühlen können. Er erwartet aber auch, dass nicht jeder nur auf seine Eigeninteressen fokussiert, sondern auch an andere denkt.

Interview von Gerhard Eisenkolb

Von 1972 bis 1990 war Gottfried Grimm Brucker Landrat. Der ehemalige Politiker verrät nicht, was ihn geistig fit hält. Was der 81-Jährige jedoch nicht verhehlt, ist: Landkreispolitik bewegt und beschäftigt ihn noch ebenso wie vor 40 Jahren. Und er kann sich als kritischer Beobachter über das Geschehen richtig echauffieren, beispielsweise über die Brucker OB-Wahl und deren Kandidaten. Der Grund ist einfach: "Wenn ich das Beste will, kann ich nicht zufrieden sein", sagt der in Puch lebende Altlandrat.

SZ: Als Landrat bedachten Sie den Start der Lokalausgabe der SZ mit Vorschusslorbeeren. Warum war Ihnen das neue Informationsangebot so wichtig?

Grimm: Das Interesse der Menschen, sich mit ihrem Lebensumfeld auseinanderzusetzen, ist durch die Zeitung gefördert worden. Informationen, wie sie die SZ bietet, sind unverzichtbar, damit sich Menschen bei Veränderungen einbringen können. Zudem kann eine Zeitung durch Recherchen und Kommentierung den Informationswert von Nachrichten steigern und somit zu einer positiven Entwicklung beitragen.

Damals herrschte eine Aufbruchstimmung, alles schien machbar. Wie fühlten Sie sich in der Rolle des Machers?

Ja, es herrschte eine wahnsinnige Aufbruchstimmung. Der Landkreis ist explosionsartig gewachsen. Ich war jung, wie viele, die zuzogen. Die Rolle des zukunftsorientierten Gestalters war erfüllend. Jeder wollte was Vernünftiges schaffen, wenn man ein Ziel hatte, war das zu erreichen.

Zudem dominierte die Zuversicht. Warum waren Zukunftssorgen zweitrangig?

Der Optimismus war sehr groß. Allein die neue S-Bahn hat im Denken einen ungeheueren Aufschwung bewirkt. Das hat richtig beflügelt.

Dem entsprach die Überzeugung, alles sei planbar. Sie sind der Erfinder des Kreisentwicklungsplans . Warum bedurfte es eines solchen Plans?

Er steht für eine Entwicklung, bei der vorab alle voraussehbaren Bedürfnisse berücksichtigt werden. Die explosionsartige Entwicklung musste durch interkommunale Zusammenarbeit und einen Interessenausgleich zwischen den Kommunen abgestimmt und auch gebremst werden. Es war neu zu sagen: Wenn große Baugebiete ausgewiesen werden, muss die Gemeinde sicherstellen, dass Kindergärten, Schulen, Sozialeinrichtungen vorhanden sind. Inzwischen hat sich das durchgesetzt. Auch eine zukunftsorientierte, landkreisweite Planung von Altenheimplätzen gehörte dazu - gerade weil die große Zahl der jungen Zuzügler gemeinsam alt werden würde. In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Verteilung des den Sitzgemeinden zustehenden Teils der Gewerbesteuer kritisch. Eine nicht an die Gemeindegrenzen gebundene Gewerbeflächenplanung und Gewerbesteuerverteilung wäre sicher besser.

Wie war es im Zuzugslandkreis um das bürgerschaftliche Engagement bestellt?

Vor allem junge Mütter haben sich engagiert. Das war in erster Linie zwar oft die Vertretung eigener Interessen, um den Bau von Kindergärten und Spielplätzen durchzusetzen. Die Konzentration Gleichaltriger führte dazu, dass sich die Interessen bündeln ließen.

Hat sich das Engagement geändert?

Heute ist es etwas anders. Wer sich sozial engagiert, nimmt die Interessen anderer Bevölkerungsgruppen wahr. Der Einsatz ist altruistisch. Man kümmert sich als Asylhelfer um Flüchtlinge oder arbeitet bei der Tafel mit.

Der Egoismus war also größer.

Egoismus ist der falsche Ausdruck. Letztlich ging es ja zum Beispiel bei Kindergärten und Schulen auch um Anliegen der Gemeinschaft. Was sich seither vollzogen hat, ist eine Qualitätsänderung. Inzwischen setzen sich die Menschen für die Lösung allgemeiner sozialer Probleme ein, die mit den eigenen Problemen nichts zu tun haben. Die Tafeln sind eine leider notwendige Reaktion auf die Fehlentwicklung, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft. Aber man darf die Augen nicht davor verschließen, dass der Fehlentwicklung entgegengewirkt werden muss.

Haben sie das damals auch so gesehen?

Als junger Mensch habe ich dieses Gefühl so sicher nicht gehabt. Der explosive Anstieg der Sozialausgaben im Landratsamt war eine Folge des ungeheueren Baubooms und Entwicklungsdrucks. So sind nach dem Bau der Hochhäuser am Bahnhof Buchenau bundesweit Anzeigen geschaltet worden, dass für diese Wohnungen in den ersten drei Monaten keine Miete gezahlt werden muss. Dann hatten wir plötzlich ganz viele Sozialfälle.

Sind Sie noch so optimistisch wie vor 40 Jahren?

Optimismus ist Pflicht. Mit Pessimismus kann man keine Zukunft gestalten. Ich erwarte aber, dass sich der Optimismus nicht auf die Befriedigung der Eigeninteressen konzentriert. Er muss allgemeinbezogen sein. Und ich muss bei anderen das Gefühl wecken, optimistisch sein zu können. Um eine bessere Zukunft zu erreichen, werden alle Menschen gebraucht.

Wie sieht der Landkreis in 20 Jahren aus?

Voller und, ich fürchte, weniger gemütlich, vielleicht mit einer größeren Gefahr zwischenmenschlicher Konflikte. Die Verdichtung muss Grenzen haben und die Bedürfnisse des Nebeneinanders berücksichtigen.

Was muss unbedingt bewahrt werden?

Das Gefühl, dort zu Hause zu sein, wo man wohnt - und anerkannt zu sein. Der Lebensraum ist so zu gestalten, dass die Menschen sich hier wohlfühlen können.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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