Air & Style im München:Das Fest der coolen Hunde

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Mit dem Air & Style im Olympiastadion sind die Snowboarder in das urbane Umfeld zurückgekehrt, aus dem sie kommen. Beim bedeutendsten Snowboard-Contest hat sich der bisherige Side-Event Freestyle-Motocross zu echter Konkurrenz entwickelt. Außerdem gab es Sportfreunde Stiller, Xzibit und 150.000 Euro Preisgeld.

Birgit Lutz-Temsch

Helden zeichnet seit jeher aus, dass sie in Folge ihres Wagemuts immer wieder schwerste Verletzungen erleiden, die sie im Anschluss mit der richtigen Mischung aus Leid und Tapferkeit zur Schau stellen.

Marc-Andre Tarte schiebt kurz nach dem Air & Style-Finale in der VIP-Lounge des Olympiastadions seine Hose nach oben und gibt den Blick frei auf sein linkes Rider-Bein - getaped. "Ich bin auf mein Knie gefallen", sagt er, "und irgendwie hing dann der ganze Muskel nach unten. Aber mit diesem Tape ist es okay." Ein Tag für Helden.

Zurück im urbanen Umfeld

Und weil Snowboard nicht Fußball ist und man nicht einfach nebenbei die Ballacks und Beckhams in Texte einstreuen kann, muss hier erklärt werden, dass eben dieser Tarte 2002 in Seefeld mit mehreren 1260s (das ist ein hoher und weiter Sprung durch die Luft mit vielen, vielen, vielen Drehungen um die eigene Achse) für Furore gesorgt hat. Und es gibt Fans, die ihm deswegen immer noch huldigen, so wie die fünf Jungs am Samstag, deren Ehrerbietungen Tarte mit der gebotenen Coolness am Red-Bull-Stand entgegennahm.

Der Air & Style, der bedeutendste Snowboard-Wettbewerb mit einem Preisgeld von 150.000 Euro, ist in München angekommen, nach zwölf Jahren in den Bergen, erst im Innsbrucker Bergisel-Stadion und später in Seefeld. Die Rider sind zurück im urbanen Umfeld, aus dem sie kommen, und wo sie so lange auf Skateboards standen, bis Jack Burton zum ersten Mal ein Brett in den Schnee legte. Und weil die Boarder Kinder der Stadt sind, geht es in der VIP-Lounge anders zu als bei anderen Wintersportveranstaltungen, bei denen die Protagonisten in Bergnähe aufgewachsen sind.

Hier gibt es keine Interviews, bei denen es der Fernsehanstalt einfallen würde, hochdeutsche Untertitel einzublenden, weil der Sieger nur straightes Bayerisch spricht - wie einst bei Markus Wasmeier geschehen und für manche Norddeutsche noch immer wünschenswert bei den Statements des Hackl Schorsch.

Hier wimmelt es vor Board- und Motocross-Fans, die sich redlich mühen, dem zweiten Teil im Namen der Veranstaltung, dem Style, gerecht zu werden: Klone des Prototypen, dessen Bild im Lexikon neben "Snowboarder/in, hipp" stehen könnte. Beim Air & Style wären für manche, die nicht zwischen Boards aufgewachsen sind, Untertitel nötig, um zu verstehen, was eigentlich passiert. Denn an einem hat sich auch nach Jahren nichts geändert: Die Snowboard-Szene wirkt so geschlossen und voll eigener Codes, dass sich manch Außenstehende auf ein Belächeln der Boarder beschränken. Denn der Fehler der Rider ist, dass sie außer hervorragenden Athleten auch noch coole Hunde sind.

Genauso wie die zweiten Top-Acts des Tages, die Fahrer des Freestyle-Motocross (FMX), die in Seefeld aus Platzgründen noch als Side Event auftauchten, in München den Snowboardern aber fast die Show gestohlen haben. Die Gewinner beider Contests halten bei der Schluss-Pressekonferenz den Ball sehr, sehr flach. "Well, durch den Regen war alles ein bisschen weich", sagt der drittplazierte Finne Jussi Oksanen in bequemer After-Contest-Haltung. "Und, hey, die Hindernisse kamen verdammt schnell nacheinander. Aber sonst wars okay."

Das Raunen der Jungs und das Kreischen der Mädchen

Natürlich würden die natural born lässigen Jungs das auch sagen, wenn dieser Kicker (das ist die Schanze) das größte gewesen wäre, was sie jemals gefahren sind. Aber bei der Münchner Rampe gab es Probleme, und die Sprünge waren deshalb zum Teil nicht so, wie sich das die gierigen und frierenden Zuschauer zum Aufheizen ihrer Körper erwartet hätten. Und nach den alles entscheidenden Kriterien "wer kann am höchsten, weitesten, längsten" haben dieses Jahr nicht die Snowboarder gewonnen, sondern die Freestyle-Motocrosser. Hier war das Raunen der Jungs und das Kreischen der Mädchen tatsächlich lauter, wenn Nate Adams seine Anhänger mit einem Gruß bedachte, der einem Gladiator im alten Rom zur Ehre gereicht hätte. Seine Fans dankten es ihm mit heftigem Wedeln der mit "Go Nate, go" bedruckten Riesenhandschuhe.

Wie es den Snowboardern damit geht, dass die Motocrosser höher und weiter sprangen? "Come on, die haben schließlich auch Motoren", sagt der Snowboard-Sieger und neue Träger des Ring of Glory, der Schwede Hampus Mosesson. Aber für einen, dessen Lebensmotto lautet: "Ride Hard - Die Free" muss es eine Schmach sein, eine solche Frage überhaupt beantworten zu müssen.

"Eine schweinsgeile Party oder was weiß ich"

Und dann muss er auch noch hören, wie Ailo Gaup, der Zweitplatzierte im FMX-Contest um eine Stellungnahme zu dem Umstand gebeten wird, dass Freestyle-Motocross auf dem besten Weg ist, richtig sexy zu werden - was natürlich kein Problem ist für den Norweger. "Ich fühle mich sehr gut damit", sagt er, und Nate Adams, Sieger des FMX-Contests, von dem manche sagen, er sei der beste Fahrer aller Zeiten, setzt hinterher: "Ich fühl' mich auch ziemlich sexy." So weit, so klar.

Zwischendurch fand es Peter Brugger von den Sportfreunden Stiller "eine Ehre, hier spielen zu dürfen", wünschte "eine schweinsgeile Party oder was weiß ich" und rockte das Stadion so, dass man Bedenken bekam, ob die freischwingende Tribüne nicht doch zusammenbricht unter der Last der Schanze und den gleichmäßig hüpfenden und wippenden Gäste. Kältebedingt genauso tanzbereit fand auch Rapper und Pimp-my-ride-Moderator Xzibit das Publikum vor.

Air & Style-Erfinder Andrew Hourmont war am Ende zufrieden mit "einem überzeugenden Einstand in München, bei dem sich das Olympiastadion bestens bewährt hat." Laut Verträgen sollen noch mindestens fünf weitere Air & Styles in der Stadt folgen.

Und dabei geht es eigentlich um nichts anderes als den Sport, sagt Sprecher Dirk Loesch. Von den üblichen Münchner Gala-, Dinner-, Premieren- und Benefiz-VIPs war wohl auch deshalb keine Spur. VIPs sind hier andere. Als ein in Grünwald wohnender Schauspieler beim Veranstalter um Karten für seine Kinder bat, hat man ihm schlicht einen Korb gegeben. Coole Hunde eben.

© SZ vom 5.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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