Ai Weiwei in München:"Hitler war Mao ähnlich"

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In München eröffnet am Wochenende die Ausstellung "So sorry" des chinesischen regimekritischen Künstlers Ai Weiwei. Ein Gespräch über Kunst, Politik, die Zensur in China und über seine Twitter-Bilder.

Holger Liebs

Der Verband ist wieder entfernt worden. Ai Weiwei sitzt im "Goldenen Saal" des Hauses der Kunst - dort, wo vor 70 Jahren die Nazis Hitlers "Haus der Deutschen Kunst" feierten -, und wirkt erstaunlich frisch, nach seiner Operation.

Die Geschichte ist inzwischen hinlänglich bekannt: Als er im chinesischen Chengdu einen Menschenrechtsaktivisten unterstützen wollte, wurde er von einem Sicherheitsbeamten geschlagen und kurzzeitig festgesetzt - im September war die Blessur, ein Hämatom unter der Schädeldecke, lebensbedrohlich geworden.

Die Sache ging glimpflich aus, und nun prangt eine mächtige Kruste am teilrasierten Schädel des 52-jährigen Künstlers, dessen Ausstellung im Münchner Haus der Kunst vom Sonntag an geöffnet ist. Auch die während der Documenta umgestürzte Skulptur "Template" aus Türen chinesischer Abrissviertel wird dort gezeigt - im Zustand der Zerstörung rekonstruiert. Ai spricht leise, fast flüstert er. Zwischendurch macht er immer wieder Fotoaufnahmen.

SZ: Geht es Ihnen gut?

Ai Weiwei: Danke, ja. Es geht mir gut.

SZ: Ihre Narbe ist beeindruckend, wenn ich das sagen darf.

Ai: Bis ich 50 war, hatte ich nur eine (lacht). Aber ich beklage mich nicht. Mein Vater war im Gefängnis, ich bin immer noch frei. Wie er bin ich Autor. Das Schreiben ist der wichtigste Schatz, den die Menschheit hat. Ist es nicht ironisch für einen Schreiber, dass die Zeit einem Narben ins Gesicht schreibt?

SZ: Warum haben Sie zugesagt, im Haus der Kunst auszustellen?

Ai: Es ist ein faszinierendes Gebäude - als Ausstellungshaus eigentlich sehr modern!

SZ: Sie meinen, dass in den vermeintlich massiven Steinsäulen moderne Stahlgerüste stecken? Den Maschinenraum im Keller? Sie wohnen ja zur Zeit im Untergeschoss...

Ai:Ja, aber vor allem sind die Räume sehr großzügig dimensioniert. Natürlich steckt hinter dem Bau widerwärtiges Gedankengut. Der Traum, eine neue Welt, eine neue Elite zu erschaffen - darin war Hitler Mao ähnlich.

SZ:Auch wenn sich Kommunismus und Nationalsozialismus einander als spinnefeind betrachteten?

Ai: Beide Totalitarismen haben die gleiche Ästhetik, die gleichen Kunstformen entwickelt. Repräsentationen gesunder, perfekter Menschen, die Verherrlichung der Arbeiterklasse.

SZ: Und die Architektur?

Ai: Unsere Kongresshalle in Peking ist dem Haus der Kunst sehr ähnlich. Ich gehe nie in dieses Gebäude. Es wirkt sehr herablassend. Man muss die Treppe so lange heraufgehen, bis weniger Sauerstoff im Hirn ist.

SZ: Sind Sie ein politischer Künstler? Und wenn ja, warum?

Ai:Ich hatte überhaupt keine andere Wahl. Ich wurde in eine Familie hineingeboren, die von der Politik ruiniert wurde. Das hat mich geprägt. Ich wuchs in der Wüste Gobi auf. Das war eine sehr arme Gegend. Ich war mehrfach so krank, dass mein Leben mit acht oder zehn Jahren hätte vorbei sein können. Ich habe erfahren, dass eine totalitäre Gesellschaft die Menschlichkeit zerstört. Du wirst zu einem Niemand. Aber ich habe mich etabliert. Also ist heute meine Aufgabe, den anderen meine Stimme zu leihen, weil sie selbst keine haben. Ich bin aber einer von ihnen und vergesse das nie.

SZ: Was ist demnach Kunst für Sie?

Ai:Sie bietet bessere Möglichkeiten der Kommunikation. Als Menschen denken wir nicht immer nur pragmatisch, wir besitzen die Fähigkeit zur Imagination und zum guten Willen. Insofern gehen Kunst und Politik eine beinahe natürliche Verbindung ein. Freunde sagen mir immer wieder, Weiwei, du solltest nicht so politisch arbeiten. Aber Politik ist ein Teil von mir, mein Leben. Sie ist meine Luft. Ich atme sie.

SZ: Sie und Ihre Familie haben sehr unter dem kommunistischen Regime gelitten.

Ai: Mein Vater war in den frühen Dreißigern in Paris. Die Stadt war damals sehr liberal. Er sollte Kunst studieren, wurde aber mehr von der Literatur, von Rimbaud und Baudelaire beeinflusst - und nach seiner Rückkehr direkt von den Nationalisten verhaftet, den Feinden der Kommunisten. Er war eben ein linker Aktivist. Er wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt und begann Gedichte zu schreiben. Du kannst im Gefängnis kein Maler sein. Nach drei Jahren kam er frei und wurde als Dichter sehr bekannt. Damals konnte man Gedichte schreiben, veröffentlichen und berühmt werden. Heute geht das in China nicht mehr. Man käme sofort ins Gefängnis.

SZ: Wurde Ihr Vater nicht auch von den Linken verhaftet?

Ai: Das war viel später, nachdem er eine Symbolfigur des kommunistischen Kampfes geworden war. Viele Leute lasen seine Gedichte und wurden zu Kommunisten. 1949 war der Kampf gewonnen, die neue Nation formierte sich. 1957 wurde er als zu rechts kritisiert. Dann wurden wir gleichsam exiliert. Nach 1981 ging ich in die USA, zwölf Jahre später zurück. Das ist meine einfache Geschichte.

SZ: Wie gut kennen Sie die anderen Künstler und Autoren in China?

Ai: Fast überhaupt nicht. Es gibt einfach keine Möglichkeit. Daher sind die Machthaber auch so erfolgreich darin, das Gehirn der Nation zu zerstören. Wenn du nicht weißt, was die anderen denken, stirbst du. Es ist wie ein Mangel an Sauerstoff. Der große Vorsitzende Mao hat ganz deutlich gemacht, dass der Kommunismus durch zwei Kanäle zur Macht kam: durch das Rohr des Gewehrs und die Mine des Stiftes. Das ist heute noch wahr. Ohne das eine oder das andere kannst du die Macht nicht behalten.

SZ:Viele westliche Investoren sagen, sie glauben an eine Entwicklung Chinas hin zur Demokratie. Der westliche Liberalismus predigt, der Kapitalismus bringe demokratische Strukturen mit sich. Ist das in China nun schon der Fall, zeichnet es sich wenigstens schon ab?

Ai: Überhaupt nicht. Was sehr seltsam ist. Denn in China sind wir Investoren gegenüber sehr offen. Anything goes im Business, solange Gewinn zu erwarten ist. Nur die Gesellschaft profitiert nicht, sondern nur einige wenige - selbst wenn die Investorenprojekte dann krachend scheitern. Es gibt keine Regeln.

SZ: Wie im Frühkapitalismus?

Ai: Bei uns ist der Kapitalismus verknüpft mit einer Diktatur - und die Lokalpolitiker sahnen ab. Sie sind wie Tiere. Sie haben die Macht, anderer Leute Geld auszugeben. Niemand kann sie aufhalten, ihre Korruption läuft im Geheimen ab. Es gibt in China keine Mittelklasse, das Fundament für ein demokratisches System. Der Staat verkauft Land, Elektrizität, Datenkommunikation, Benzin, einfach alles. Und ,Staat‘ heißt bei uns: eine Elite. Eine Menge Leute hier sind dadurch superreich geworden.

SZ: In die eigene Tasche gewirtschaftet haben auch die Politiker in Sichuan, die die sogenannten Tofu-Schulen gebaut haben, welche dann beim Erdbeben 2008 einstürzten.

Ai: Alle öffentlichen Gebäude werden von Profiteuren gebaut. Die Polizeistationen sind immer die größten und glamourösesten Häuser der Stadt - die Politiker sagen dann, wir brauchen zwei Milliarden, geben eine aus und behalten den Rest. Schulen sind nicht Bestandteil der Machtstruktur. Dort arbeiten ja nur Lehrer! 1990 wurde die politische Devise ausgegeben, jedes Kind müsse eine Grundschule besuchen. Also zogen sie alle Schulen in einem Jahr hoch. Die Planerfüllung ist in China eine militärische Aufgabe. Niemand fragt, warum nicht vorher Schulen gebaut wurden oder ob man sich mehr Zeit lassen müsse. In den Gegenden, wo die Schulen hochgezogen wurden, wohnen zudem sehr arme Leute. Die Zentralregierung verlangte von den Lokalregierungen, einen Teil der Kosten zu übernehmen, wirklich Spottpreise für den Quadratmeter. Aber die hatten nicht mal dafür Geld. Also wurde das billigste Material verarbeitet, von ungelernten Kräften, viel schlechter als Beton. Und zwar nicht nur in Sichuan, sondern im ganzen Land.

SZ: Wollte sich die Regierung danach nicht entschuldigen?

Ai: Natürlich nicht. Dann hätte sie ja ihre Verantwortung eingestehen müssen. Es gibt in der kommunistischen Gesellschaft nie Entschuldigungen. Immer heißt es, lass' uns das vergessen und vorgeben, es gebe keinen Grund für eine Entschuldigung.

SZ: Heißt Ihre Ausstellung daher "So sorry"?

Ai: Dafür gibt es viele Gründe. Aber Entschuldigungen kommen immer zu spät. Und man muss sie akzeptieren. Man hat keine andere Wahl.

SZ: Sie verwenden oft Fundstücke aus Natur und Kultur in Ihrer Kunst, Baumstümpfe oder antike Stühle und Türen, um damit auf Verlust und Zerstörung hinzuweisen - beziehen Sie sich damit auf Marcel Duchamps Readymade-Konzept?

Ai:Für mich sind sozial-gesellschaftliche Ereignisse Readymades, die ich verwenden kann. Wie etwa das Erdbeben in Sichuan. Das ist Teil der menschlichen Realität, eine Gegebenheit, ob man das mag oder nicht. Duchamp benutzte ein Urinal als Readymade, ich benutze die politischen Institutionen in China. Ich denke, Duchamp ist ein großartiger Künstler, auch sehr politisch, gerade im Auslassen von Tätigkeiten, was ja auch sehr machtvoll sein kann. Bei ihm spielt sich alles im Kopf ab. Alles, was wir tun, ist nur ein geistiges Spiel, das muss man wissen. Ein Spiel um unsere Weltwahrnehmung oder darum, wie wir gesehen werden wollen. Beides können wir nicht vermeiden. Darin liegt die Herausforderung.

SZ:Duchamp zog sich für Jahrzehnte aus der Kunstwelt zurück. Sie legen sehr viel Wert auf traditionelles Handwerk. Sie arbeiten etwa Türen aus Abrisshäusern in eine neue Skulptur ein.

Ai: Ich kommuniziere über Formen. Ich benutze die Tradition nicht, weil ich sie als überlegen ansehe, sondern weil sie ein glaubwürdiges Zeugnis der Vergangenheit ist. Wie der Beweis eines Verbrechens. Es ist, als ob du einen lokalen Akzent lernst. Speziell in China aber entsteht Kultur durch eine gemeinsame Moral oder Bedingungen der Ästhetik. Das hat sich über 1000 Jahre so entwickelt. Diese Tradition konfrontiere ich mit einer zeitgenössischen Kunstsprache. Ich denke, ich habe die Freiheit, dies zu tun.

SZ:Ihr Öffentlichkeitsbegriff ist radikal. Sie haben Fotos aus dem Krankenhaus auf dem Internet-Kurznachrichtendienst Twitter gepostet.

Ai:Ja, das war radikal, aber auch brutal. Bevor du diese Bilder analysieren oder ein Gefühl ihnen gegenüber entwickeln kannst, sind sie in der Welt und Realität. Aber so arbeite ich. Bevor mein Blog geschlossen wurde, war er sehr populär, insgesamt mehr als 17 Millionen Leser, 20.000 am Tag. Den Blog kann ich nicht mehr öffnen, aber Twitter kann ich benutzen. Es ist einfach. Einmal wurde die Sache sehr heiß, zu viele Leute diskutierten die Einträge - der Staat schloss meine IP-Adresse. Nach ein paar Minuten öffnete ich eine andere, die Leute kamen dorthin, sie wurde wieder geschlossen. Das wurde fast zu einer Art Spiel. Innerhalb einer Woche haben sie zehn meiner IP-Adressen geschlossen. Aber jeder veröffentlichte wiederum meine Bilder, Hunderte User unter Namen wie Aiweiweiwei, Weiweiaiai und so weiter. Niemand weiß mehr, was real ist und was nicht. Dann schlossen sie Twitter auf einmal komplett. Auf einmal konnten Hunderttausende in China nicht mehr wie vorher übers Internet kommunizieren. Nach diesem Ereignis haben eine Menge Leute verstanden, was los ist.

SZ: Sie haben aber nicht aufgegeben.

Ai:Ich spiele weiter. Jetzt kann ich vom Mobiltelefon direkt auf Twitter posten. Ich werde über das taiwanische Twitter international verbunden. Meine Mitarbeiter sind verrückt, ich bin verrückt. Es ist wie ein Virus. Aber das ist wichtig für China. Wenn du nichts tust, geschieht auch nichts. Es bleibt geheim. Das Regime ist wie die Mafia.

SZ:Erodiert das Internet die Macht?

Ai: Es ändert alles. Und es ist unkontrollierbar. Jetzt lachen sie über die Regierung, sagen, schaut sie euch an. Heute morgen sagte mir jemand, wir lernen von dir, Weiwei. Er nahm eine Unterhaltung mit der Polizei auf und stellte sie auf Twitter. Im Handumdrehen ist die Polizei bloßgestellt. So hat sich die Macht verlagert.

SZ: Sie wollen nach China zurück. Haben Sie keine Angst?

Ai: Mir macht Spaß, was ich tue. Ich lebe in einer perfekten, riesigen Gesellschaft mit ihrer eigenen Logik und Geschichte. Niemand weiß, welchen Weg sie gehen wird, aber du kannst ihn beeinflussen. Natürlich gibt es Gefahr. Du bereitest dein Leben darauf vor und kannst dich nicht einfach so zurückziehen. Ich kann nur meine Fähigkeiten verbessern. Ich glaube an Kreativität. Sie verändert alles.

© SZ vom 10.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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