Man hatte im Jahr 1948 natürlich andere Sorgen als etwa jene, ob der Winter wieder ohne Schnee auskommen müsse. 1948 war das Jahr, in dem sich Hausfrauen und Standbesitzer auf dem Viktualienmarkt eine Eierschlacht lieferten, weil die Preise mit 37 Pfennig für ein Ei zu hoch waren. Endlich gab es nach dem Krieg einige Lebensmittel zu kaufen, aber zu Preisen, die sich die Münchner nicht leisten konnten. Dass der Winter dann relativ mild verlief, kam vielleicht gerade recht. Denn Heizen, warme Mäntel, dicke Stiefel, auch das kostete.
Es war etwa im November, als auf dem Odeonsplatz - ringsum lagen die Gebäude in Trümmern, die Theatinerkirche war schwer beschädigt - der mittlerweile älteste Second-Hand-Laden der Stadt seinen Anfang nahm. Und in dem heute die wahrscheinlich ältesten Mitarbeiterinnen Münchens arbeiten. Auch das hat dem Laden den Spitznamen "Oma-Kaufhaus" eingebracht.
1948 war es noch ein Bauwagen, mit dem der Verein Freie Selbsthilfe auf dem Odeonsplatz vorgefahren war, um bedürftigen Münchnern zu helfen. Sie sollten in dem Wagen Sachen tauschen oder aus Geldnot unauffällig verkaufen können. Inzwischen aber residieren Verein und Laden im zweiten Stock der Theresienstraße 66.
23 Ehrenamtliche kümmern sich
Die Vergangenheit hat sich hier beinahe über alles gelegt, über Ausstellungsstücke und Mobiliar. Über den Boden, der beim Eintreten knarzt, den alten Heizofen, der eine wohlige Wärme verbreitet. Und auch über die mächtige Holzvitrine, gefüllt mit Porzellan, zum Beispiel einem Biedermeier-Teller aus der Königlich-Preußischen Manufaktur. Handgestickte Bettwäsche aus den Zwanziger- oder Dreißigerjahren ist in dem Second-Hand-Laden zu finden wie auch eine alte Briefwaage aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
"Einmal hatten wir auch einen Giftring. Der war sofort weg. Den konnte man aufklappen und den Inhalt sozusagen als kleine Überraschung in den Kaffee kippen", erzählt Helge Siefert und schmunzelt. Sie ist pensionierte Kunsthistorikerin und eine der 23 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen im Alter zwischen 68 und 89 Jahren. Abwechselnd, aber immer zu mehreren, arbeiten die Damen im Verkauf, telefonieren, beraten, quatschen. Bis vor acht Jahren noch hatte das "Oma-Kaufhaus" ein zusätzliches Stockwerk. Doch die hohen Mieten zwangen den Verein, die obere Etage aufzugeben.
Immer noch ist es das Ziel der Freien Selbsthilfe e.V., Menschen mit wenig Geld zu helfen, indem er ihre Sachen - Kleidung, Schmuck, Hausrat und Kunstgegenstände - ankauft oder ihnen etwas günstig verkauft. Getauscht, wie im Jahr 1948, wird längst nicht mehr. "Ich nehme an", sagt Siefert, "dass die ursprüngliche Idee für den Second-Hand-Laden nach amerikanisch-englischem Vorbild entstand, den Charity-Shops." Der Verein, der damals ausschließlich den Bauwagen und heute den Laden betreibt, wurde 1948 gemeinsam von Amerikanerinnen und Münchnerinnen ins Leben gerufen, unterstützt von Maria Prinzessin del Pilar, Tochter von Ludwig Ferdinand Prinz von Bayern.
Auf der Suche nach einem Schnäppchen
Die Schirmherrin war möglicherweise der Grund, warum lange Zeit ein aristokratischer Flair den Laden durchdrungen hatte, denn über Jahrzehnte engagierte sich der Hochadel ehrenamtlich im Verkauf. Längst kommen deshalb nicht nur Münchner mit kleinem Geldbeutel hierher, sondern Menschen auf der Suche nach etwas Besonderem. Es hätte ja sein können, dass der Adel auch etwas aus dem eigenen Hausstand verkauft.
"I am always looking for the great find. You never know, right?" - "Ich suche hier immer nach einer großartigen Entdeckung. Man weiß ja nie, stimmt's?", sagt eine Amerikanerin, die an einem Dezembervormittag zwischen Porzellan und Ledertaschen stöbert. Vor einigen Jahren habe sie hier für ihren Mann eine Jacke für 25 Euro gekauft und angeblich die gleiche kurz darauf in der Maximilianstraße für 2500 Euro gesehen.
"Die wussten hier nicht, dass die Jacke so wertvoll ist", flüstert sie. Einmal, erzählt Nancy, die Amerikanerin aus New Jersey, die seit 30 Jahren in Deutschland lebt, habe eine Kundin sie hier angesprochen, als sie ihr Englisch hörte, und gesagt: "Wir hätten ohne die Amerikaner nicht überleben können." Nancy lächelt.
Eine Idee der Amerikaner
Die Amerikaner zur Zeit der Besatzungszone hatten sich nach und nach auch freundschaftlich mit den Deutschen verwickelt. Wer weiß, ob es sonst die Freie Selbsthilfe gäbe. 66 Jahre hat der Verein schon überlebt, obwohl das Geld, das er mit dem Laden einnimmt, gerade mal für die Miete und für die symbolischen Honorare der Mitarbeiterinnen ausreicht.
"Spenden können wir nichts", sagt Helge Siefert. Für fünf Euro pro Tag stellt sich die Kunsthistorikerin, die in der Alten Pinakothek gearbeitet hat, in den Laden und schätzt unter anderem den Wert von Porzellan, Schmuck und Gemälden.
"Wenn es sich bei den Gegenständen aber um bekannte Künstler handelt oder der Wert über 1000 Euro liegt, schicke ich die Kunden zu Auktionshäusern", sagt die 69-Jährige. Eine Glasmalerei - ein Konterfei auf einer Kirchenglasscheibe aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts - hat sie auf 68 Euro geschätzt, einen Silberlöffel mit der berühmten Hildesheimer Rose verziert auf 29 Euro, eine Schere mit Sissi-Portrait auf 24 Euro. In den Vitrinen und auf den Tischauslagen gibt es aber auch vergleichsweise Alltägliches zu entdecken, wie eine Brotschneidemaschine und Töpfe. Oder auch Krawatten und Boss-Anzüge.
Was aber verkauft sich am Besten? Die Rarität, das Kuriose, das Nützliche? "Die Pelzmäntel", sagt Siefert. Die gibt es schon für 80 Euro das Stück. Ein sehr warmer Mantel für einen milden Winter.