Abschied:Abfall als Berufung

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34 Jahre in städtischen Diensten: der Zweite Werkleiter Helmut Schmidt, der nun in den Ruhestand geht. (Foto: AWM)

Helmut Schmidt, Münchens "Mister Müll", geht in Rente

Von Dominik Hutter, München

Um deutliche Worte ist Helmut Schmidt nie verlegen. Sätze wie "Die Verpackungsordnung wurde sieben Mal novelliert, besser ist sie nie geworden" oder "Wir leben über unsere Verhältnisse, werden aber unter unseren Verhältnissen regiert" machen den operativen Chef des Münchner Abfallwirtschaftsbetriebs (AWM) nicht überall beliebt, aber stets zu einem gefragten Gesprächspartner. Und so herrscht oft gebanntes Schweigen im Stadtrat, wenn Schmidt in seinem typischen Redestil - etwas abgehackt, dazwischen sein charakteristisches Räuspern - über Abfall doziert. Über Wertstofffraktionen, Stoffkreisläufe, die Recyclatquote oder eben auch die Bemühungen auf Bundesebene, eine vernünftige Abfallwirtschaftspolitik zustande zu bringen. Diese Einblicke in ein Thema, das es im Stadtrat nie in die vorderste Reihe bringt, aber trotzdem als hoch spannend gilt, nutzt die Politik gerne. Schmidt ist auch auf Landes- und Bundesebene ein gefragter Experte und bringt im Gegenzug auch die dortigen Entwicklungen ins Münchner Rathaus. An diesem Donnerstag zum letzten Mal.

Denn Schmidt, dessen offizielle Amtsbezeichnung Zweiter Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs lautet, geht in den Ruhestand. 27 Jahre lang hat er sich mit dem Münchner Müll, seiner Verwertung und - in seinen Augen viel zu selten - seiner Vermeidung beschäftigt. In der Stadtverwaltung ist er aber schon seit 1983 tätig: Seit er in einem SZ-Artikel las, die Stadt München habe ein gigantisches Müllproblem, das es zu lösen gelte - und eine Initiativbewerbung losschickte. Zunächst aber landete der bei Heidelberg geborene Bauingenieur im Planungsreferat, wo er Münchens erste Fahrradroute vom Ostbahnhof nach Solalinden sowie das Verkehrsberuhigungskonzept für Altschwabing entwarf. 1990 kam er zum AWM, kurz vor der Einführung des Drei-Tonnen-Systems, mit dem die Stadt ihren verbrannten oder deponierten Müll binnen fünf Jahren von 1,2 Millionen Tonnen auf 600 000 Tonnen reduzierte. Es folgten der Bau der Wertstoffhöfe und die Gründung des Gebrauchtwarenkaufhauses "Halle 2". Im Jahr 2002 wurde Schmidt Zweiter Werkleiter, also operativer Leiter des AWM. Der Erste Werkleiter ist der Kommunalreferent, dessen Behörde der AWM untersteht: Ex-Müllchef Axel Markwardt, der nun Scherze machen kann, der Vorgänger verabschiede den Nachfolger in den Ruhestand.

Schmidt kann stundenlang über Abfallverwertung sprechen, das Thema beschäftigt ihn seit seinem Studium. "Ich bin ein absoluter Umweltfreak", charakterisiert er sich selbst. Zu tun gebe es noch sehr vieles. Vermeiden statt Verwerten zum Beispiel. Und ein bewussteres Verhalten in den Industrienationen. "Wir leben als Schmarotzer zu Lasten der Dritten Welt und nachfolgender Generationen", ärgert sich Schmidt. Es sei absurd, dass auf der Erde eigentlich Lebensmittel für zwölf Milliarden Menschen produziert würden. Von denen dann die Hälfte weggeworfen werde, während Millionen hungern. "Warum interessiert sich Politik nicht für solche Mechanismen?" Schmidt will auch weiterhin sein Wissen über sinnvolle und weniger sinnvolle Müllverwertung in Seminaren und Vorträgen vermitteln. Wenn er nicht in die Berge geht oder sich um die Enkel kümmert. Zeit hat er jetzt.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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