Abschiebungspraxis in Bayern:Eine harte Linie - und zum Schämen

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SZ-Leser empören sich über einen aktuellen Fall, bei dem sich Gericht und Behörden sogar über ein fachärztliches Attest hinwegsetzten

Wann dürfen Asylbewerber abgeschoben werden – und wann nicht? Der Fall einer Mutter aus Albanien, die mit ihren drei Kindern diese Woche entgegen einem ärztlichen Attest abgeschoben wurde, empört SZ-Leser. Das Bild oben zeigt eine Demonstration von Asylhelfern Ende Juni 2017 in München. Foto: catherina hess (Foto: Catherina Hess)

"Albanerin und drei Kinder trotz Attest abgeschoben" vom 2. August:

Rechtsstaat verspielt Vertrauen

Mit Entsetzen hab ich den SZ-Artikel gelesen. Als gebürtiger Münchner und somit Bayer kann ich mich nur noch schämen für die "harte Linie" in Bayern. Erst kürzlich haben Nürnberger Schüler Zivilcourage gezeigt für einen Mitschüler, der von der Polizei aus der Schule abgeholt wurde. In Amberg traten im Zuge einer Rauschgiftfahndung die Polizisten morgens um 5 Uhr die Türen der Zimmer in einem Asylbewerberheim ein (zum Teil wurden die Zimmer von Familien mit Kindern bewohnt)! Und das, obwohl für alle Zimmer Zweitschlüssel zur Verfügung standen. Und nun die weise Entscheidung des Verwaltungsgerichts München, verbunden mit der Beschimpfung eines Arztes (ich kann ihm nur raten Strafanzeige zu erstatten). So wird der Rechtsstaat in der Gestalt des "Freistaats Bayern" zunehmend bei den - auch in Bayern vorhandenen - mündigen Bürgern Vertrauen verspielen. "Was Ihr getan habt für den geringsten meiner Brüder, das habt ihr für mich getan", heißt es in der Bibel. Das "christlich" regierte Bayern hält davon nichts. Rainer Hauenstein, Amberg, Vorsitzender Richter im Ruhestand

Gegen Hippokrates' Eid

Ich bedanke mich, dass die Süddeutsche ziemlich ausführlich über diesen Vorgang berichtet hat. Die Beschreibung der Reaktionen der zweijährigen Tochter auf den ersten Abschiebungsversuch am 21. März 2017, Nahrungsverweigerung und Selbstverletzung, hat mich veranlasst, mir die Stellungnahme des Bayerischen Flüchtlingsrates zur Abschiebung am 1. August anzusehen. Da wurde beschrieben, dass drei Wochen nach dem ersten Abschiebungsversuch ein zweiter erst daran scheiterte, dass ein Arzt am Flughafen Frankfurt erfolgreich ein Veto einlegte. Vorliegende Atteste zum Gesundheitszustand der Zweijährigen waren bis zu diesem Zeitpunkt ignoriert worden. Bei der Abschiebung am 1. August wurde die Mutter mit einem Krankentransport zum Flughafen geschafft. Sie hätte an diesem oder dem darauffolgenden Tag in einer Münchner Psychiatrie aufgenommen werden sollen.

Dass formale Voraussetzungen bei ärztlichen Stellungnahmen erfüllt sein müssen, kann ich nachvollziehen. Wenn aber der Gesundheitszustand von Familienangehörigen die Abschiebung zweimal misslingen ließ, dann der Facharzt, der gegen den dritten Versuch gutachterlich argumentiert hat, vom Gericht als "hinsichtlich der Gefälligkeitsgutachten als amtsbekannt" charakterisiert wird, gewinne ich keinen vertrauensvollen Eindruck von der Rechtsprechung dieser Kammer.

Auch bei einem berechtigt abgelehnten Asylantrag ist der abschiebende Staat verpflichtet, zu prüfen, ob beispielsweise für Menschen mit psychischen Störungen eine ausreichende Behandlung im Land, in das abgeschoben wird, garantiert ist, so dass eine gravierende Verschlechterung ausgeschlossen ist. Wie soll das in der Konstellation dieser abgeschobenen Familie - Mutter krank, ohne Ehemann, mindestens das Kleinkind mit hohem Risiko von Retraumatisierung - wohl ausgeschlossen werden können? Außerdem muss der Abschiebestaat Verfahrensgarantien für Minderjährige gewährleisten. Das kann ich hier auch nicht sehen.

Die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung ( IPPNW) veröffentlichte am 28. März 2017 zu Abschiebungen einen Artikel "Ärzteorganisation rügt Verstöße gegen hippokratischen Eid". Der Hippokratische Eid gilt als Verpflichtung zu angemessener Behandlung für Ärztinnen und Ärzte.

Wir sollten uns aber auch als Bürgerinnen und Bürger bei solchem Vorgehen der Bundesrepublik und des Freistaates Bayern informieren und einmischen. Denn, was Grundlagen des Rechtsstaates wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und auf ein ethisch korrektes rechtliches Verfahren gefährdet, ist auch bedrohlich für Deutsche. So gesehen hat Beistand für vulnerable Gruppen wie Flüchtlinge, den sie dringend brauchen, auch ein Element von wohlverstandenem Eigeninteresse. Elisabeth Scheunemann, Detmold

© SZ vom 07.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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