70 Jahre Ehe:Das tun, was nötig ist

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Die Gnadenhochzeit, den 70. Hochzeitstag, können nicht viele Paare feiern - wie eine Ehe sieben Jahrzehnte lang hält.

Birgit Lutz-Temsch

Scheidung. Oswald B. zieht seine Augenbrauen zusammen. Wird rot im Gesicht. Er regt sich auf. Schimpft. So laut, dass man ihn nicht versteht. Die Pflegerin sagt: ,,Das ist auch besser so.'' Als sich der 97-Jährige wieder erholt hat, sagt er: ,,Sich scheiden zu lassen, das ist nicht mein Stil.'' Im Sessel am großen Wohnzimmerfenster sitzt seine Frau Erika, 96 Jahre ist sie alt.

(Foto: Foto: Robert Haas)

Erika und Oswald B. feiern am 25. Mai ihren 70.Hochzeitstag. Die Gnadenhochzeit. 70Jahre ihres Lebens haben die B.s miteinander verbracht, haben Kinder bekommen, Enkel und Urenkel, haben zwei Kriege überlebt, die Gold-, Reichs-, und D-Mark. Zwei Leben, vom Kaiser bis zum Klimawandel.

Wie geht das, fragt man Oswald B., dass man so lange zusammenbleibt? Wo heute gerade mal noch die Hälfte der Ehen hält? ,,Naja, wie geht das'', wiederholt B. die Frage, und scheint sie in seinem Kopf umherzudrehen, weil er nichts Rechtes mit ihr anfangen kann. ,,Die Ehe ist kein reines Amüsement'', sagt er. ,,Wenn man nur deswegen heiratet, dann kann das nicht gut gehen.''

Auf einem Studenten-Faschingsfest sieht Oswald Erika zum ersten Mal. 1929. Oswald studiert zwei Semester Medizin in Königsberg. Erika wohnt im ostpreußischen Allenstein, ist technische Lehrerin. Und schön. ,,Mohrchen'' wird sie von ihren Freunden genannt, weil sie so große dunkle Augen hat und so dunkle Haut. Oswald und Mohrchen tanzen. ,,Aber an Heirat hat damals noch niemand gedacht'', sagt Oswald B. und lacht dröhnend.

Als Oswald wieder zurückgeht, schreiben sich er und Mohrchen. Sieben Jahre lang. 1934 macht Oswald sein Staatsexamen, kommt erst zur Reichswehr, dann ist er Assistenzarzt in Berlin. Dort besucht ihn Mohrchen schließlich, 1936.

Und haben Sie sich dann gleich verliebt? ,,So ziemlich sofort'', sagt Oswald, aber über die Liebe will er nicht so viel reden. Und Erika kann es nicht mehr. Seit einem Schlaganfall im vergangenen Jahr kann sie Gesprächen zwar folgen, aber kaum noch selbst sprechen. Und so sitzt sie da und lächelt zu den Worten ihres Manns. Haben Sie ihn gesehen und sich gleich verliebt? Da nickt sie. War er hübsch? Sie schüttelt den Kopf. War er ein lustiger Mann? Das Schütteln wird noch stärker. Ein stattlicher Mann? Oh, ja.

Warum war Mohrchen die richtige für ihn? ,,Ja, warum'', sagt er. ,,Ihr Vater war Wagenfabrikant, und Stadtrat von Allenstein.'' Und dann weiß man nicht so recht, ob Oswald B. nur den Rest der Antwort vergisst oder ob das die ganze Antwort war.

Die Brautzeit dauert nicht lange. Am 25. Mai 1937 heiraten Erika und Oswald im ostpreußischen Allenstein. Mit einer Kutsche fahren sie von der Kirche zum Haus der Eltern Erikas. Wie viele Gäste kamen denn? 15, deutet Erika mit ihren Händen. Die Eltern Oswalds sind nach Ostpreußen gereist, ,,das war ja damals eine Mordsreise'', sagt er. Nach der Hochzeit lebt das junge Paar in Paderborn. 1938 kommt der erste Sohn Gerhart zur Welt. Und Oswald muss in den Krieg. Der Mediziner wird Chefarzt im Feldlazarett 162 der 62. Infanteriedivision.

Krieg, Krankheit, Angst - die ersten Ehejahre

Bis ans Westufer der Wolga kommt er. Und ist deshalb nicht da, als sein zweiter Sohn Christian zur Welt kommt, 1943, und er ist auch nicht da, als der Junge vom Amtsarzt gegen Pocken geimpft und daraufhin zum Epileptiker wird. Eine dramatische Zeit beginnt für die junge Mutter. Sie verheimlicht die Krankheit ihres Sohnes. ,,Sonst wäre er ja sterilisiert worden, damals'', sagt Oswald. ,,Und so hat er heute einen Sohn, der auch Arzt ist.''

Erika nickt. Seufzt. Dann wird Erika schwer krank, muss operiert werden, Oswald lässt sich beurlauben. Er macht seinen Ärztekollegen Dampf. ,,Ich hab dafür gesorgt, dass meine Frau zuvorkommend behandelt wird!'' sagt er. Dem Tod springt sie gerade noch von der Schippe. Oswald muss zurück in den Krieg. Das waren die ersten Ehejahre.

Nach dem Krieg übernimmt Oswald B. die Landarzt-Praxis seines Vaters in Havixbeck in Westfalen. Erika assistiert ihm bei Operationen. ,,Obwohl sie gar nicht Medizin studiert hat'', sagt er, ,,aber das hat sie besser gemacht als die ganzen Schwestern.'' Hat Erika nicht mehr als Lehrerin gearbeitet? ,,Nein, wir waren ja verheiratet'', sagt Oswald.

Erika arbeitet nur noch für ihn. Sie assistiert ihm, erledigt die Abrechnungen der Praxis. Erzieht die Kinder. 1948 kommt Tochter Sigrid zur Welt, 1952 Sohn Oswald. 1956 wird Oswald B. nach München versetzt. Dort bleibt die Familie auch, als er als Wehrbereichsarzt nach Düsseldorf muss.

Die Pflegerin erzählt, dass Freunde der B.s heute noch von den Gesellschaften schwärmen, die die B.s früher gegeben haben. Er, der perfekte Unterhalter, der Gedichte vorträgt. Sie, die perfekte Gastgeberin, die Menüs zaubert. Welchen Rat würde er jungen Menschen geben, die heiraten, fragt man den 97-Jährigen. ,,Man muss eben das tun, was nötig ist'', sagt er. ,,Und zusammenhalten.'' Aber wenn man streitet? ,,Über grundsätzliche Dinge haben wir nie gestritten.'' Hat er seiner Frau denn oft Blumen mitgebracht? ,,Oft nicht, aber schon mal. Und geschrieben habe ich viel'', sagt er, als er im Krieg war und später in Düsseldorf.

1970 wird er pensioniert. Erika und Oswald machen Urlaubsreisen. ,,Rom!'', sagt Erika. Sie fahren nach Italien, Griechenland, Spanien, an die Nord- und Ostsee. Seit dem Schlaganfall Erikas und einer schweren Operation Oswalds kommt jeden Tag die Pflegerin Conny Conen.

Das Zusammenleben ist manchmal schwierig geworden, weil er so schlecht hört, und sie kaum reden kann. ,,Man merkt, dass die beiden eine große Liebe füreinander haben'', sagt die Pflegerin. Oswald zupft Mohrchen ab und zu eine Blume aus dem Garten, den ihre Tochter wunderbar bepflanzt hat. ,,Wie wunderschön Du heute wieder bist!'', sagt er dann zu ihr.

Nach ihrem Schlaganfall stand er oft nachts auf, obwohl das sehr schwer für ihn ist, fragte, wie es seiner Frau gehe, setzte sich an ihr Bett. So wie sie an seinem Bett saß, als er operiert wurde, ihm eine Wärmflasche zurechtlegte und die Bettdecke über ihn zog. So, wie sie seit 70 Jahren das füreinander machen, was nötig ist.

© SZ vom 21. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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