30. Todestag Pasolini:Der Erbe der Harlekine

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Die Münchner Pinakothek der Moderne zeigt die Ausstellung "Pasolini und der Tod" und erweckt die Poesie des Filmemachers zu neuem Leben.

Fritz Göttler

Auf den Tod verweist diese Ausstellung in ihrem Titel - und ihr Anlass ist der 30. Todestag Pier Paolo Pasolinis, der im November 1975 in Ostia ermordet worden ist. Aber was sie uns präsentiert, ist zunächst mal ganz eindeutig Pasolini life. Der Medien-Pasolini, der Mann, der die Öffentlichkeit suchte und das Scheinwerferlicht nicht scheute, der sich offensichtlich heimisch fühlte auf den Titelblättern der Illustrierten, in Begleitung von Anna Magnani, Silvana Mangano, Maria Callas.

Eine Form von Exhibitionismus, zugegeben, der aber immer seinen Gegenpol fand im Verlangen nach Einsamkeit, in Menschen-Scheu, wenn nicht gar -Verachtung. Zwischen diesen Polen entstand ein vielfältiges Werk: Pasolini der Filmemacher, der Lyriker, der Romancier, der Theatermacher, der Essayist, der Pamphletist, der Zeichner.

Inszenierung war immer und überall in diesem Leben, und fasziniert folgt man ihren Spuren auf der Straße zum Erfolg, die den jungen Lehrer und Lyriker aus der friaulischen Provinz in die große Stadt Rom führt, wo er zum streitbaren Filmemacher wird. Die Passage führt dann über zwei Selbstporträts aus den Vierzigern, in denen der Junge sich durch Blumen im Mund und Farbgebung als politisch engagiert und zugleich als Erben der Harlekine darstellt, zum Poeten und Zeichner Pasolini.

Rare Stücke haben Bernhart Schwenk, Kurator für Gegenwartskunst, und Michael Semff, Direktor der Staatlichen Graphischen Sammlung, zusammengetragen - es war nicht leicht in den vergangenen Jahrzehnten, den Pasolini-Nachlassverwaltern etwas herauszulocken, von Exponaten bis zu Aufführungsrechten der Filme.

Alles dreht sich um Provokation

Provokation, das ist das P-Wort, auf das diese Ausstellung hinausläuft. Provokation prägte sein Leben, im Privaten, als Homosexueller und als Proletarier, und als politischer Filmemacher. Mit einem an den Meistern der Renaissance geschulten Blick - in seiner Verfilmung des Decamerone trat er selbst als Giotto auf - schaute er auf das Vorstadtproletariat des modernen Rom. Mit Leuten aus dem Volk verfilmte er das Matthäusevangelium, seine Mutter holte er für die Rolle der Maria.

Selten sind Leben und Werk, natürliche Grazie und Inszenierung so ineinandergeflossen wie bei Pasolini. Noch seinen Tod am Allerseelentag 1975 hat er selbst geplant, als Ende eines Märtyrers der modernen Gesellschaft - dieses Modell hat jedenfalls Giuseppe Zigaina, der lebenslange Maler- und Dichterfreund Pasolinis, entwickelt und akribisch belegt an Dutzenden von Textstellen.

Es ist eine Vorstellung, die einen schwindeln macht, die aber immer wieder auf verrückte Weise auch plausibel klingt, schon deshalb, weil sie den Dichter rausholt aus seiner Kammer, aus seinem Turm bei Chia, und mitten ins Leben stellt. Und weil man sich nach dem so hoffnungslosen "Salâ oder die 120 Tage von Sodom", der erst nach Pasolinis Tod uraufgeführt wurde, nicht mehr vorstellen konnte, wie es weitergehen sollte in diesem Leben, in diesem Werk.

Durchscheinende Dominanz des Todes

Man darf diese Dominanz des Todes nicht missverstehen, sie geht zusammen mit einer starker Lebenslust - die ihren Triebstoff im Hass auf die italienische Konsumgesellschaft und ihr Bürgertum hatte; in den "Freibeuterschriften" kommt dies zum Ausdruck. Mitleid hat Pasolini dagegen mit den Opfern dieser Gesellschaft aus den Unterschichten, die, Opfer des Konsumterrors, ihrer sozialen Existenz, ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung beraubt sind.

Pasolini flüchtet sich in die Zwischenformen, malend bevorzugt er das Pastiche, wo Farben oder Säfte sich über das Blatt ergießen, aus denen sich dann erste zarte Formen herausbilden: die Umrisse eines Gesichts, etwa der Callas in den Sechzigern, mit der er damals ein Paar bildete und die er im Kino seine Medea spielen ließ.

Aber bevor alles zu deutlich werden kann, bevor das Bild wirklich zum Leben erwacht, wird der malerische Prozess abgebrochen, es bleibt in einer Trance. Manchmal malt er auf Zellophan, auf Zelluloid - Transparenz ist ihm wichtig, die Welt soll durchscheinen in dem was er macht. Ja, man spürt den Geist von Picasso oder Polke in diesen Bildern . . .

"Im Zeichnen ohne ersichtlichen Zweck, ohne Bindung an Vorgaben oder Aufträge konnte er Atem schöpfen", ", schreibt Michael Semff im Katalog - und zitiert einen schönen alten Text von Heißenbüttel: Pasolini "ist in vielen Zeichnungen so ohne Abstrich anwesend, wie das ein Kunst herstellender Künstler gar nicht vermag".

Innehalten in der Rekonstruktion

Pasolini ist ein Kind des strukturalistischen Zeitalters; Roland Barthes hat seine Karriere sehr aufmerksam verfolgt - und sorgenvoll, angesichts von "Salâ". "Ich hasse Natürlichkeit", wird auf einer Schautafel Pasolini zitiert: "Ich rekonstruiere alles." Rekonstruktion, das ist das R-Wort, das sich dem P-Wort hinzugesellt. Wie kein anderer hat Pasolini das Innehalten, das singuläre Bild favorisiert.

Im letzten Teil der Ausstellung werden seine zwölf großen Filme auseinandergenommen und zu einer sagenhaften Gesamtschau neu zusammengesetzt, in einem Panoramakino, das einen schwindeln lässt. Das Kino verliert sich, um zu sich selbst zu finden.

P. P. P. - Pier Paolo Pasolini und der Tod. Pinakothek der Moderne, bis 5. Februar 2006 (www.pinakothek-der-moderne.de). Katalog im Hatje Cantz Verlag, 208 S., Abb., 35 Euro. Im Münchner Filmmuseum am St.-Jakobs-Platz läuft eine Pasolini-Retrospektive, heute um 21 Uhr stellt Giuseppe Zigaina "Medea" vor.

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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