200 Jahre Viktualienmarkt (2):Harter Job im Reich der Düfte

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Marktdynastien und Newcomer - die Arbeit auf dem Viktualienmarkt im Wandel der Zeit.

Birgit Lutz-Temsch

Wer genau hinschaut, dem erzählt der Gewürz- un d Kräuterstand der Freisingers eine Geschichte. Von fernen Orten, weiten Reisen, von Mitbringseln und davon, wie es den Deutschen nach dem Krieg immer besser ging. Gertraud Freisinger schaut über die bunten Päckchen und die frischen Kräuterpflanzen. ,,Früher gab es die heimischen Kräuter, Bohnenkraut, Schnittlauch, Dill, Estragon. Dann fingen die Urlaube an: Die Leute sind nach Italien gefahren und wollten zuhause auch Basilikum, Oregano und Rosmarin.''

Der Stand der Freisingers zu Beginn des Jahrhunderts. (Foto: Foto: oh)

Sie selbst versuchte sogar auf ihrer Hochzeitsreise 1960 in Italien, Kräuter zu schneiden und nach Hause zu transportieren - was natürlich misslang, weil das Basilikum einging. Dann fuhren die Menschen weiter, nach Griechenland, und brachten von dort "Josmo" mit - Minze. Und als Reisen um die ganze Welt immer einfacher wurden, kamen Ingwer, Koriander, Chili und Zitronengras dazu. ,,Seit fünf Jahren ungefähr sind die asiatischen Kräuter sehr begehrt'', sagt Freisinger, ,,die hat man früher gar nicht gekannt.''

Gertraud Freisinger und ihr Mann Ludwig sind die dritte Generation Freisingers, die auf dem Viktualienmarkt Kräuter, Gewürze, Sauerkraut, Gurken und Oliven verkaufen. Der Großvater Ludwig Freisingers öffnete seinen Gurken-Stand im Jahr 1903. Dreimal in der Woche stehen Gertraud und Ludwig Freisinger noch selbst an dem Stand, die Geschäfte hat schon lange ihr Sohn Ludwig mit seiner Frau Christine übernommen - die vierte Generation einer Marktfamilie. ,,Das Sortiment ist gewachsen: Statt ein, zwei Olivensorten haben wir jetzt 30'', sagt Gertraud Freisinger, ,,und heute kochen viel mehr Männer als früher. Aber die können's auch''.

Das Angebot habe sich außerdem verändert, sagt ihr Sohn Ludwig. ,,Manches, was es auch in Supermärkten gibt, wie Senf, verkaufen wir nicht mehr. Da können wir mit den Preisen nicht mithalten. Wir setzen auf Produkte wie heimischen Merrettich, auf hausgemachte Sachen, die es nirgendwo sonst gibt. Viele Kunden legen wieder Wert darauf, regionale Produkte zu bekommen, und vielen ist unsere Beratung sehr wichtig.'' Auch deshalb seien wohl 70 Prozent ihrer Kunden Stammkunden.

Der Herr Meerwasser

Beratung ist manchmal nötig: Viele Hobbyköche kommen mit dem Kochbuch und lesen die geforderten Zutaten daraus vor - eine junge Frau verlangte deshalb einmal geschnittene Petersilie. "Die müssen Sie sich schon selber schneiden", bekam sie von Gertraud Freisinger zur Antwort.

Ein Mann wiederum erstand vor Jahren Kräuter für zwei Balkonkästen, die sie ihm in zwei Tüten verpackte, eine mit den Kräutern, die wenig, eine mit den Kräutern, die mehr Wasser brauchen. ,,Da hatte der Kunde ein Problem - wo bekomme ich denn Meerwasser, fragte er mich. Der kommt heute immer noch, der Herr Meerwasser.''

Die Arbeitszeiten seien deutlich länger geworden, sagt Christine Freisinger: ,,Die Kunden kommen mittlerweile später - wenn die anderen Geschäfte, die großen Kaufhäuser, in der Stadt öffnen. Wir müssen mit unserem Aufbau aber trotzdem früh anfangen.'' Etwa zwei Stunden dauert es, bis alles an seinem Platz ist, genauso wie das Abbauen. Auch der Samstag ist mittlerweile ein ganzer Arbeitstag geworden. 80 Stunden arbeitet Ludwig Freisinger pro Woche, schätzt er, und manchmal auch an allen sieben Tagen.

Montags ist Ruhetag, Ruhe gibt es trotzdem wenig: ,,Montags bin ich morgens immer in der Großmarkthalle, und außerdem wird dann all das erledigt, was während der Woche liegen bleibt'', sagt er. Miete, Umsatzpacht, Abgabe für die Müllentsorgung und der Beitrag für die Werbeaktionen für den Viktualienmarkt summieren sich für den 65 Quadratmeter großen Stand der Freisingers auf ungefähr 4500 Euro im Monat.

Dazu kommen die Ausgaben für die vier angestellten Verkäufer, die außer den Familienmitgliedern mit im Stand stehen, und natürlich die Kosten für die Ware. Jährlich setzen die 140 Händler, die auf dem Viktualienmarkt verkaufen, 33 Millionen Euro um. ,,Da bleibt schon was hängen'', sagt Christine Freisinger, ,,aber da braucht niemand neidisch sein - wir arbeiten auch hart dafür'', sagt sie.

Den Neulingen auf dem Markt geht es da nicht anders. Die harte Arbeit hat Bianca Maier aber nicht davon abgehalten, einen Stand zu übernehmen. Seit fast genau einem Jahr betreiben sie und ihr Mann einen Obst- und Gemüsehandel ganz vorne am Rosental. ,,Ich habe genau gewusst, was auf mich zukommt'', sagt die 24-Jährige, ,,aber ich wusste auch, was ich will: selbständig sein.'' Maier ist die jüngste Standlfrau auf dem ganzen Markt. Ihrem Vater gehört seit 13 Jahren ,,Leo's Obststand'', daher kennt sie das Marktleben. In ihren Schulferien half sie beim Vater mit, machte dann eine Lehre bei ihm.

Als der Inhaber des benachbarten Stands in Rente gehen wollte, bewarb sie sich im Februar 2006 bei den Markthallen München, die in der Großmarkthalle sitzen und über die Standvergabe auf allen Münchner Märkten entscheiden. Sie war bei weitem nicht die einzige Bewerberin, ,,aber viele stellen sich das einfacher vor, als es ist. Man hat Verantwortung, braucht Disziplin und Nervenstärke. Und steht jeden Morgen um halb vier in der Großmarkthalle.'' Ende März erfuhr sie, dass sie das Rennen gemacht hatte.

Ihr Mann gab für den Marktstand eine Stelle bei einem großen bayerischen Automobilkonzern auf. Anfang Mai stand sie zum ersten Mal an ihrem eigenen Stand, wo ihr die anderen Marktleute zur Selbständigkeit gratulierten. Dann krempelte sie erstmal einiges um. Sie verlagerte die Verkaufsfläche mehr zur Straße hin, dort offeriert sie jetzt Sonderangebote. ,,Der Viktualienmarkt ist ja als teuer verschrien'', sagt sie, ,,deswegen lege ich dort günstigere Ware aus, damit die Leute sehen, dass das gar nicht so ist.''

Sie tauschte die schweren, 30 Jahre alten Stellagen gegen neuere, leichtere Gestelle aus, baute Regale in den Kühlraum ein und erneuerte die Zelte. ,,Das alles hat natürlich erst mal viel Geld gekostet. Aber man muss schon darauf achten, dass der Stand attraktiv aussieht.''

Darauf, das sagt auch Ludwig Freisinger, legten die Kunden immer mehr Wert. Er präsentiert seine Oliven deshalb jetzt in großen Holzbottichen und nicht mehr in kleinen Alubehältern. Ob eine seiner Töchter, die heute zehn und zwölf Jahre alt sind, den Stand irgendwann übernimmt und dann in fünfter Generation weiterführt, kann heute noch niemand sagen.

Wenn er seine Töchter beobachte, wenn sie manchmal mithelfen, sehe er sich selbst, sagt Freisinger. ,,Natürlich berührt mich das, und es freut mich, aber es ist ein harter Beruf'', sagt er, ,,auf den Lorbeeren, einen Stand auf dem schönen Viktualienmarkt zu haben, darf man sich nie ausruhen.''

© SZ vom 23.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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