200 Beschwerdefälle pro Jahr:Altes Problem

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Wo es in München bei der Pflege von Senioren hakt

Von Anna Hoben

Eine alte, hilfsbedürftige Frau, die beim Essen und Trinken nicht ausreichend unterstützt wird. Ein Mann, dessen Inkontinenzeinlagen nicht oft genug gewechselt werden. Und gewaschen werden die Senioren auch zu selten - oder nicht gründlich genug. Das sind einige Beispiele aus dem aktuellen Bericht der städtischen Beschwerdestelle für Altenpflege, der am Mittwoch dem Stadtrat vorgelegt wurde. Er zeigt: Stabil ist der Patient Pflege noch lange nicht.

Die gute Nachricht: Die Zahl der Beschwerden ist in den vergangenen zwei Jahren im Vergleich zum vorherigen Bericht etwas zurückgegangen. Die nicht so gute Nachricht: Über einen längeren Zeitraum von zehn Jahren sind die Beschwerdefälle dennoch um 30 Prozent gestiegen, auf mittlerweile 200 Fälle pro Jahr. Mehr als zwei von drei Beschwerdeführern haben sich zuvor bereits eigenständig um eine Problemlösung bemüht.

Neu ist die Verteilung der Fälle: Während die meisten Beschwerden sich bisher auf stationäre Pflegeeinrichtungen bezogen, haben diesmal jene über ambulante Pflegedienste deutlich zugenommen. 2018 gab es zum ersten Mal nahezu gleich viele ambulante Beschwerdefälle wie stationäre Beschwerden. Als möglichen Grund dafür nennt der Bericht die teils komplizierten Regelungen des neuen Pflegegesetzes - häufig handelt es sich um Beschwerden zur Abrechnung.

Mehr als 1000 Mal pro Jahr kommen Pflegebedürftige oder deren Angehörige zur einmaligen Beratung bei den Expertinnen der Beschwerdestelle. Den tatsächlichen Beschwerdefällen folgt in der Regel eine aufwendige mehrwöchige oder mehrmonatige Bearbeitung. Pro Einzelfall sind demnach im Durchschnitt 15 Interventionen nötig, wie Gespräche mit Betroffenen und Vertretern von Einrichtungen, Hausbesuche oder Hintergrundrecherchen. Selbst betroffene pflegebedürftige Menschen kommen immer häufiger in die Beschwerdestelle - ihr Anteil hat sich im Vergleich zu vor zehn Jahren verdoppelt, sie machen mittlerweile ein Drittel der Beschwerdeführer aus. "Die Zahl der Menschen, die sich nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen verlassen können, steigt", heißt es im Bericht. Trotzdem sind es meist immer noch Angehörige, die auf Missstände aufmerksam machen. Aber auch Nachbarn, Hausärzte oder Physiotherapeuten melden sich, wenn ihnen die Versorgung problematisch erscheint. Sie wollen nicht wegsehen, sondern sich kümmern.

Neben der eigentlichen Pflege beziehen sich viele Beschwerden auf die Kommunikation. Angehörige fühlten sich nicht ausreichend über Änderungen informiert; das Verhalten gegenüber den Betroffenen wird als nicht adäquat empfunden; mit Beschwerden werde nicht angemessen umgegangen. Auch der Umgang mit Eigentum wird bemängelt, persönliche Gegenstände würden plötzlich fehlen oder seien kaputt. Bei ambulanten Pflegediensten wird vor allem kritisiert, dass Leistungsdokumentation und Abrechnung nicht transparent seien und Kosten sich ohne vorherige Absprache erhöht hätten. Auch hier werden Kommunikationsstil und Ton als unangemessen kritisiert. Weil das Personal häufig wechsle, kenne es sich mit den Wünschen und Gepflogenheiten der pflegebedürftigen Person nicht aus.

Ein strukturelles Problem, das 2018 immer wieder genannt wurde, betraf die Suche nach einem Kurzzeitpflegeplatz. Diese Schwierigkeit verstärkt sich, wenn die Betroffenen komplexe Anforderungen an die Versorgung mitbringen, etwa eine Infektion mit einem multiresistenten Keim. Die Beschwerdestelle hat das Problem in die Münchner Pflegekonferenz eingebracht und will nun auf das Sozialreferat zugehen, um zu klären, wie dies verbessert werden kann.

Das Hauptproblem in der Pflege ist jedoch nach wie vor ein anderer, überwölbender Mangel: der an Pflegekräften. Angesichts der steigenden Zahl älterer Menschen werde man mit dem Personal trotz sämtlicher Maßnahmen zur Gewinnung von Pflegekräften "immer hinterherhinken", sagt die SPD-Stadträtin Constanze Söllner-Schaar. Sie prophezeit: "Das wird noch spannend."

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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