20 Jahre Rot-Grün in München:Die letzte Hochburg der Bewegung

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Rot-Grün in München wird 20. Ein politisch nicht ganz korrekter Glückwunsch an die Koalition, die ihre eigene Opposition sein könnte und am liebsten protestiert.

Joachim Käppner

Historisch betrachtet, gab es zu allen Zeiten kleine Inseln, Relikte und hartnäckige Restbestände eigentlich längst versunkener Kulturen. Man könnte vom Reich des Römers Syagrius in Nordgallien sprechen, das der Völkerwanderung noch einige Jahrzehnte trotzte, oder von Kuba, dem letzten marxistisch-leninistischen Paradies.

Letzter Vergleich liegt deswegen näher, weil etwa die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e. V. die fortschrittlichen Taten des grünen Fraktionschefs Siegfried Benker bei Gelegenheit gern unterstützt. Er ist Frontmann des rot-grünen Bündnisses in München, der letzten Hochburg jener Bewegung (außer den Hungerleidern in Bremen), die 1998 angetreten war, das Land mittels ihres "Gesellschaftsprojektes" neu zu formen.

An diesem Mittwoch wird die Münchner Rathauskoalition 20 Jahre alt. 20 Jahre! Als Rot-Grün 2005 sang- und klanglos verschwand, da dachte das Berliner Personal des schon lang vom Unglück verfolgten Paktes vielleicht: Was haben die in München bloß, was wir nicht haben?

Das ist eine Frage wert. Man neigt in der Münchner SPD ja (heimlich und bang) dazu, "den Ude" als quasi gewählten, dazu wortgewaltigen und omnipräsenten Regenten für den Vater allen Erfolgs zu halten.

In der Tat gibt es keinen zweiten Politiker in der Stadt, der selbst hartgesottene Kritiker bei nur einem Mittagessen im Ratskeller zu entschiedenen Parteigängern zu machen versteht, die nachher verkünden, "der Ude" habe es ja schon immer gesagt. Aber warum Rot-Grün im Rat?

Nein, das eigentliche Geheimnis ihres Erfolgs liegt anderswo: Rot-Grün in München versteht es, seine eigene Opposition zu sein. Dazu passt, dass die eigentliche Opposition, die örtliche CSU, während dieser 20 Jahre den Hauptgegner meist in sich selbst gesehen hat.

Rot-Grün lebt, obschon nur noch der Herr Oberbürgermeister den Schnauzbart der Achtziger trägt, im Selbstgefühl ewiger Jugend, des Aufbruchs, ja des unbeschwerten Rebellentums gegen die "da oben".

Ein Beispiel? Es dürfte im Land nur eine Stadt geben, eben München, die jährlich Gastgeber einer der wichtigsten internationalen Konferenzen ist und dem Wahlvolk aber augenzwinkernd vermittelt, eigentlich sei man doch irgendwie gegen die Ansammlung von Großkopferten, Generälen und anderen nicht dem eigenen Lebensgefühl entsprechenden merkwürdigen Leuten.

Der Fraktionschef der Grünen gesellt sich darum gern zu jener gegen die "Siko" protestierenden Schar linker Unentwegter, die gemäß grüner Weltbetrachtung als soziale Bewegung zu gelten haben.

Gastgeber und Gegner in einer Person: Man muss das können. Rot-Grün in Berlin hat Bomber nach Belgrad geschickt und Soldaten an den Hindukusch, es hat den gemütlichen alten Sozialstaat durch das Hartz-IV-Regime ersetzt, weil die Welt so war, wie sie war, und nicht, wie Rot-Grün sie sich gewünscht hatte oder hätte.

Münchens rot-grüne Koalition aber bleibt ein Reich der guten, unverfälschten Absichten. Sie ist nie schuld daran, wenn daraus nicht die entsprechenden Taten erwachsen. Es gibt nicht genug Kitas, es fehlen Kindergartenplätze? Berlin ist schuld, der Freistaat, die Vermieter. Man braucht eine Stunde zum Flughafen, vorausgesetzt, die S-Bahn kollabiert nicht unterwegs? Das Verkehrsministerium ist schuld. Oder die Großindustrie.

Das Geheimnis der ewigen Protesthaltung mag gelegentlich dazu führen, dass selbst Großprojekte, die der Stadt nur genutzt hätten, als von oben diktierte Zumutungen verworfen werden, gern auch durch "soziale Bündnisse" im Stil der wilden Jahre samt Demo und roten Fahnen.

Bei der dritten Startbahn des Flughafens geht das, wie oft, arbeitsteilig: die SPD staatstragend dafür, die Grünen in Opposition gegen - denn wo Protest ist, da sind auch sie. Sie wollen auch den zweiten S-Bahn-Tunnel nicht, sind aber die ersten, welche auf die Landesregierung zeigen, wenn die Züge beim leichtesten Frost wieder stehenbleiben.

Das phantastische Architekturprojekt der neuen Werkbundsiedlung dagegen wurde im Bündnis gemeinsam als nicht"sozial" und nicht ökologisch korrekt verworfen. Das ist ein Argument, mit dem man auch den Eiffelturm hätte verhindern können. Es trifft aber das Lebensgefühl der Wählerschaft, obschon diese sozial längst besser situiert ist als früher.

Rot-Grün verbindet diese Gebärden der Politrenitenz auf virtuose Weise mit der schon aus der Wittelsbacher Regentschaft stammenden Neigung der Münchner, der Obrigkeit zu misstrauen.

Die Koalition, die Deutschlands reichste und entwicklungsfähigste Großstadt führt, tut also manchmal so, als regiere gar nicht sie. Dabei regiert sie schon seit 20 Jahren skandalfrei und recht erfolgreich eine Stadt, die ohne manche Früchte rot-grüner Politik heute gewiss weniger liebens- und lebenswert wäre. Herzlichen Glückwunsch.

Lesen Sie weitere Berichte zu 20 Jahre Rot-Grün in München in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 17. März. Hier geht es zum Probe-Abo.

© SZ vom 17.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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