150 Jahre "Vier Jahreszeiten":Sisi und die Wellenbadschaukel

Lesezeit: 7 min

Die Kaiserin setzt ein Stockwerk unter Wasser, ein Graf reitet bis zur Zimmertür - das Hotel "Vier Jahreszeiten" kennt Geschichten aus 150 Jahren.

A. Becker

Der Mann in Grau nickt nur kurz, als ihm der Ober den zweiten Kaffee hinstellt, garniert, wie hier üblich, mit zwei Pralinés. Dann versenkt der Graue wieder seinen Blick in die Tiefen seines Laptops. Wie wild hackt er drauf los, und es scheint fast, als habe er die geschichtsträchtige Umgebung, in der er seine Arbeit verrichtet, komplett vergessen. Der Mann sitzt in der Halle des Hotels Vier Jahreszeiten, direkt unter der berühmten Glaskuppel aus der Belle Époque.

Das Hotel Vier Jahrezeiten in der Maximilianstraße feiert sein 150. Jubiläum (Foto: Foto: Foto: Vier Jahreszeiten)

Wenn er nur einmal innehalten würde, nur kurz, und die Augen schließen, könnte er sich vielleicht vorstellen, dass er hier, noch vor wenig mehr als einem Jahrhundert, im Freien gesessen wäre. Auf einer Bank, umgeben von Blumen, singenden Vögeln oder zirpenden Grillen. Denn das Foyer war einst ein wunderschön angelegter Innenhof.

Doch vielleicht weiß dieser Mann das nicht. Vielleicht ist er auch an diesem Freitag, wenn das Hotel mit einer exklusiven Gala seinen 150. Geburtstag feiert, längst schon wieder abgereist. Ein Wunder wäre das nicht, bedenkt man, dass sich die Verweildauer in einem solchen Haus in München heute auf durchschnittlich 2,2 Nächte beschränkt.

Damals, in den Gründerjahren des Hotels und auch noch sehr viel später, war dies anders. Wochenlang quartieren sich die Gäste zu dieser Zeit ein, war doch schon die Anreise - mit der Bahn oder auf wenig befestigten Straßen in schlecht gefederten Kutschen - mühselig gewesen. August Schimon, der Gründer des Hauses, und seine Erben erkennen schnell, dass ihre Gäste vor allem den Luxus der Bequemlichkeit schätzen. Doch der Reihe nach.

Die Idee des Königs

Denn zunächst ist da erst einmal ein König, Maximilian II., der sich - wie einst sein Vater, Ludwig I., als Baumeister profilieren will. Und zwar mit einem ihm gewidmeten Prachtboulevard. Dort, eben auf der heutigen Maximiliansstraße, soll unter anderem eine Textilmanufaktur entstehen. Doch als der Bau gerade den ersten Stock erreicht hat, gerät der Finanzier des Ganzen, ein Münchner Unternehmer, in Geldschwierigkeiten und muss aufgeben.

Weil das vorhandene Baufragment einem Palast ähnelt, kommt dem König die Idee, statt der Manufaktur ein Luxushotel zu bauen. Seine Berater sollen allerdings versucht haben, Maximilian II. von dieser Idee abzubringen: ein Hotel, an dieser Stelle - so weit weg vom neuen Bahnhof - unmöglich!

Der König setzt sich jedoch durch und gewinnt als Investor besagten August Schimon, der zu dieser Zeit einer der größten und berühmtesten Weinhändler und -wirte der Stadt ist. So berühmt, dass selbst der in Berlin geborene, aber in München ansässige Dichter Paul Heyse ihn viele Jahre nach Schimons Tod, 1904, in der Novelle "Der letzte Zentaur" würdigt.

Der spätere Literaturnobelpreisträger schwärmt darin von dem "behäbigen Mann mit dem schwarzen Kraushaar und den verschmitzten kleinen Augen", weniger aber von dem von ihm kredenzten Wein: "Er war eben ein Idealist unter den Gastwirten, und sein Andenken ist mir teuer geblieben, trotz seiner Weine."

Schimon wird 1866 tot aus der Isar gefischt

1806 wird August Schimon in Ungarn geboren und arbeitet dort nach seiner Schulausbildung als Buchhalter. Im Anschluss an den Militärdienst kommt er nach München, heiratet die Tochter eines Weinwirts und wird schnell Mitinhaber des schwiegerväterlichen Unternehmens. Unter seiner Führung floriert der Betrieb. Schimon kauft andere Weinwirtschaften auf, renoviert sie und verkauft sie mit Gewinn weiter.

Seine Wirtschaft in der Kaufinger Straße wird weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Doch später scheinen seine Spekulationen nicht mehr aufzugehen: Schimon wird jedenfalls 1866 tot aus der Isar gefischt. Sein "Vier Jahreszeiten", das vom Architekten Robert Wilhelm Gottgetreu fertigstellt wird, soll er also gerade einmal acht Jahre selbst führen.

Die Ludwigssuite mit Blick auf das Badezimmer (Foto: Foto: Vier Jahrezeiten)

Bereits kurz nach seiner Eröffnung, 1858, blicken Münchens Augen nur noch auf das neue "Vier Jahreszeiten" - nicht nur, weil hier der Hochadel absteigt. Sondern weil das Hotel über schier Unglaubliches verfügt: Zum Beispiel über einen Stall für 60 Rösser samt eigenem Pferdedampfbad - wichtig, denn viele der Reisende sind zwar von der wachsenden Mobilität durch die Eisenbahn begeistert, wollen aber dennoch nicht auf ein eigenes Pferd zum Ritt durch die Stadt verzichten.

Jahrzehntelang soll dieser Stall zum Hotel gehören, noch heute erzählt man sich dort von Graf Toerring, einem Stammgast des ausklingenden 19. Jahrhunderts. Dieser Mann gibt sich nicht damit zufrieden, sein Pferd dem Stallmeister zu übergeben, sondern reitet grundsätzlich quer durch die Halle bis zu seiner Zimmertüre. Erst dort steigt er ab - und niemand scheint sich über dieses Gebahren aufgeregt zu haben.

Fidel durch "Dittmanns Wellenbadschaukel"

Die Geschäftsphilosophie, mit besonderen Attraktionen für Aufmerksamkeit sorgen, soll über Jahrzehnte hinweg beibehalten werden. Schon sehr früh gibt es hier zum Beispiel einen Pater-Noster-Aufzug, mit dem man bequem von Etage zu Etage fahren kann. Oder sechs Marmorbäder - und das zu einer Zeit, in der nicht einmal Privathäuser über Badezimmer verfügen.

Aber das wahrscheinlich Kurioseste, mit dem das Hotel zeitweise aufwartet, ist "Dittmanns Wellenbadschaukel" - eine Erfindung aus dem Jahre 1889. Sie gilt "als nervenstärkend und wohltuend für den Blutkreislauf", so ist zumindest in einem Prospekt des Herstellers, der "Fabrik für sämtliche Badeapparate" in Berlin, zu lesen. Diese Wellenbadschaukel - eine gerundete Spezialwanne, die der Badende durch Verlagerung seines Gewichts zum Schaukeln bringt - erfreut sich im Hotel jedenfalls reger Beliebtheit, vor allem bei den gekrönten Häuptern. Der Kaiserin "Sisi" von Österreich wird nachgesagt, sie habe so heftig mit der Wanne geschaukelt, dass ihr Badewasser bis ins darunterliegende Stockwerk geflossen sei.

Unter der Führung von August Schimons Söhnen, Max und Ferdinand, sowie seines Schwiegersohns, Johann Samuel Obermayer, kommt es Ende des 19. Jahrhunderts zu einer weiteren Sensation in dem Hotel: der Einführung des elektrischen Lichts. Jeden Abend lassen tausend Glühbirnen das Hotel erstrahlen - zu einer Zeit, in der die ganze Stadt gerade einmal über 4000 Glühbirnen verfügt.

Um dies zu ermöglichen, hatten Schimons Erben elektrische Akkumulatoren einbauen lassen, die von einer Turbine in dem unter dem Haus fließenden Stadtbach gespeist wurden. Allerdings sind nicht alle Gäste über diese Neuerung glücklich. Viele Herren klagen, sich nun nicht mehr ihre Zigarren am Gaslicht anzünden zu können. Also verfügt die Hoteldirektion, dass fortan in jedem der Zimmer und Suiten elektrische Zigarrenanzünder bereit stehen sollen.

Das Hotel schreibt rote Zahlen und ist heruntergekommen

Es ist eine erfolgreiche Zeit für das "Vier Jahreszeiten" - um die Jahrhundertwende wird es nochmals vollständig renoviert und modernisiert. Längst gilt es als europäisches Spitzenhotel, in der Stadt ist es der gesellschaftliche Mittelpunkt schlechthin. 1914 übernachten im "Vier Jahreszeiten" der österreichische Thronfolger, der Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau, Sophie von Hohenberg. Nur wenig später, am 28. Juni 1914, werden die beiden in Sarajevo ermordet, und der Erste Weltkrieg bricht aus.

In der Folge der Kriegswirren, der Räterepublik und der Inflation gerät das Hotel in die Schieflage. Hatte das Kapital der Aktiengesellschaft, die seit 1885 besteht, noch 1918 1,23 Millionen Mark betragen, wird es ein Jahr später auf 140000 herabgesetzt, um wenig später auf inflationäre 35 Millionen Mark anzusteigen. Die Aktienmehrheit wechselt mehrfach ihren Besitzer: Zunächst, 1921, geht sie an ein Münchner Bankhaus, 1924 an die bayerische Staatsbank, die sie an die Stadt weiterreicht. Dort entbrennen heftige Diskussionen um die Zukunft des Hotels.

So kämpfen die Kommunisten im Stadtrat massiv dafür, es in ein städtisches Volksbildungsheim zu verwandeln. Das Hotel schreibt rote Zahlen, es ist heruntergekommen und mittlerweile tatsächlich viel zu weit weg vom Bahnhof. 1926 will die Stadt daher nur noch eines: es so schnell wie möglich loszuwerden. Sie findet Käufer - und was für welche: den zu dieser Zeit bereits in Deutschland berühmten Koch Alfred Walterspiel und seinen Bruder Otto.

Eine neue, glanzvolle Ära beginnt. Die beiden Brüder stecken 1,6 Millionen in das Hotel. Sie bauen es um, erweitern es, veranstalten spektakuläre Fest und aufregende Bälle. Schon bald ist auch das Restaurant Walterspiel die kulinarische Adresse Nummer eins.

Voller Ehrfurcht sprechen die Münchner davon - Alfred Walterspiels Kreativität in der Küche kennt keine Grenzen. Doch die Weltwirtschaftkrise bringt auch dieses Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten. Die Walterspiels können nur unter großer Mühe eine Schließung des Hauses verhindern. Otto Walterspiel soll zu dieser Zeit zu seinem Sohn Otto gesagt haben: "Unser Vermögen steht in krassem Missverhältnis zur Anzahl der Fenster in unserem Hotel."

"Zwangs-Eintopfessen" und "Julbaum"

Auch die Folgejahre im Dritten Reich sind schwierig. Noch vor dem Krieg werden Einschränkungen über Einschränkungen verordnet, zum Beispiel das "Zwangs-Eintopfessen" an einem Sonntag pro Monat. Kein öffentliches Lokal, alo auch nicht das "Walterspiel", darf an diesem Tag etwas anderes als Eintopf servieren. Der Preis dafür ist festgelegt: Eine Mark, 90 Pfennig davon bekommt das Winterhilfswerk.

Auch für Weihnachten gelten strenge Regeln: So muss der Christbaum "Julbaum" genannt werden. Auch "Stille Nacht, heilige Nacht" darf nicht mehr gesungen werden, sondern nur mehr "Hohe Nacht der stillen Sterne", wenngleich sich im Hotel angeblich niemand an diese Anordnung hält. Am 14. März 1944 trifft eine Bombe den Cherubinsaal des Hauses, wenig später wird das gesamte Haus - bis auf den Flügel zur Maximilianstraße - zerstört.

Nach Kriegsende bis 1948 quartieren sich alliierte Offiziere in die Reste der einstigen Luxusherberge ein. Doch die Walterspiels geben nicht auf. Sie bauen ihr Hotel wieder auf: "Unvergleichlich schöner, vornehmer und stilvoller als je zuvor", wie ein Fachblatt dieser Zeit berichtet. Das Restaurant erlangt wieder Weltruhm - bis 1960. Dann stirbt Alfred Walterspiel.

Eine Sauna für Olympia

Als fünf Jahre später die Entscheidung fällt, dass München Olympiastadt wird, ist die Ära Walterspiel zu Ende. Den Nachkommen fehlt das Geld, um das Hotel für die Olympischen Spiele zu rüsten. Schließlich braucht es dafür ein Schwimmbad, eine Sauna, eine Tiefgarage und doppelt so viele Zimmer. Also schließen sie 1970 zunächst einen Managementvertrag mit Kempinski und drei weiteren Investoren.

Obwohl die Bauarbeiten erst 1973 abgeschlossen werden, steht das Haus während der Spiele im Mittelpunkt des Medieninteresses: Hier ist das olympische Kommitee untergebracht, hier wird nach dem Attentat auf die israelischen Sportler darüber beraten, ob die Spiele abgebrochen werden. 1990 übernimmt Kempinksi die Aktienmehrheit - und noch heute wird das Hotel permanent renoviert, modernisiert, saniert. Erst seit kurzem verfügen manche der Zimmer beispielsweise über einen in den Badspiegel integrierten Fernseher. Das Besondere bleibt eben das Markenzeichen.

© SZ vom 25.07.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: