150 Jahr Weißwurst:Um sechs Uhr früh ist die Wurst noch in Ordnung

Lesezeit: 4 min

Es gab Hunderte von ihnen, lange her ist es nicht. Heute ist "Wiggerl" Wallner einer der letzten Wirte, der die Weißwürste selbst herstellt.

Astrid Becker

Auf der Treppe zum Keller riecht es nach Wurst - in einer Intensität, die Kindheitserinnerungen wachruft. An eine Zeit, in der man, selbstverständlich an der Hand der Mutter, noch richtig gern einkaufen ging. Am liebsten zum Dorfmetzger, weil der einem immer ein "Radl" Gelbwurst oder eine Wiener schenkte.

Wenn allerdings Weißwürste auf dem Speiseplan des Tages standen, hatte die Mutter etwas gegen die milden Gaben des Metzgers, wohlwissend, dass das Kind nur schwer zu bremsen ist und sich später nach so viel Wurst nur wieder über Bauchweh oder Schlechtsein beklagen wird. Und jetzt ist da plötzlich wieder dieser Geruch, der im Zeitalter der Supermärkte und industriell gefertigter Lebensmittel nahezu verschwunden zu sein schien.

"Fertigware schmeckt man"

Es ist sechs Uhr morgens. Während sich draußen die Nacht noch nicht verabschiedet hat, steht im Keller der "Gaststätte Großmarkthalle" Ludwig Wallner an einem Gerät, das aus der Ferne wie eine riesige Teigknetmaschine aussieht. In gewisser Weise ist sie das auch. Der Cutter, wie der Profi die Maschine nennt, rührt, vermengt, häckselt als erstes an diesem Morgen Speck. Eine weiße, nur leicht rosa schimmernde Masse schiebt sich unaufhörlich im Kreis herum.

Wallner, mit Schirmmütze, weißer Metzgerkluft und Gummistiefeln bekleidet, ist, wenn man so will, einer der letzten seiner Art. Weil er die Würste, die er in seiner Gaststätte verkauft, jeden Morgen selbst herstellt. Überhaupt, so wird später sein Fleischlieferant vom Schlachthof, Hans Bauer, erzählen, gebe es in der Stadt nicht mal mehr viele Metzgereien, die noch selbst produzierten. "Vor 25 Jahren haben wir noch 1600 in der Stadt g'habt, jetzt lassen sich die meisten von Großmetzgern Fertigware zuliefern." Häufig auch Industrieware, die mit dem Handwerk nichts mehr zu tun habe. "Und das schmeckt man auch", sagt Bauer.

Früher gab es Alt- und Jungmetzger, die sich nur ums Fleisch kümmerten, Schweinemetzger - diese Berufsbezeichnung erklärt sich von selbst - und eben Wirtsmetzger. "Damals war das ganz normal, dass ein Wirt die Wurst für sein Lokal selber macht", sagt auch Wallner. Heute sind es in München noch ,,eine Handvoll'', wie er sagt. Der "Spöckmeier2, das "Hofbräuhaus" und der "Franziskaner" fallen ihm spontan ein.

Der 38 Jahre alte Wirt und seine zwei Jahre ältere Schwester haben das Traditionslokal samt Kellermetzgerei 1998 von ihren Eltern Heinz und Luise Wallner übernommen und führen es in ihrem Sinne weiter. 1968, im Geburtsjahr Ludwig Wallners, waren sie wiederum Richard Süßmeier nachgefolgt, der zuvor die Gaststätte sechs Jahre sein eigen nennen konnte.

Wallner schwört auf Kalbsbrät

Ludwig Wallner hat zwar heute modernere Maschinen als sein Vater im Keller stehen, doch in der Rezeptur folgt er ihm noch heute: "Kein Wunder, ich bin ja praktisch damit aufgewachsen." Daher also wird erst einmal der Schweinerückenspeck gecuttert. Erst wenn er eine Konsistenz angenommen hat, die der Laie mit sahnig beschreiben könnte, kommt das Kalbsbrät dazu.

Reines Kalbsbrät - und vermutlich ist auch das der Grund, warum Kenner behaupten, Wallners Weißwürste gehören zu den besten in der Stadt. Nach der Weißwurstverordnung, die zwar vorläufig genannt wird, aber bereits seit 1972 gilt, müsste der Muskelfleischanteil nur mindestens 51 Prozent aus Kalbfleisch bestehen, der Rest dürfte auch vom Schwein stammen.

Aber Wallner schwört auf 100 Prozent Kalbsbrät: 2Das ist bekömmlicher, und vielleicht bild' ich mir das auch nur ein, aber ich mein' immer, dass die Zitrone vorschmeckt, wenn man Schwein nimmt - und des mag ich ned."

San die Würscht scho heiß?

Mit beiden Armen greift Wallner in zwei riesige Plastikschüsseln, in denen etwa 40 Kilogramm Kalbsbrät auf die Weiterverarbeitung wartet. Nach und nach hebt er das Fleisch in die sich unaufhörlich weiterdrehende Speckmasse, lässt sich das Gemisch über die Hände gleiten, kühlt es immer wieder mit Eis ab.

"Damits kein Fleischklops werd", sagt er. Die Masse verfärbt sich von zartrosa in rosa. Unvorstellbar, dass daraus ausgerechnet mal Weißwürste werden sollen, die ihren Namen ihrer Farbe wegen tragen. "Damit sie schön weiß werden, muss man auch das richtige Salz verwenden: Kochsalz, ja kein Pökelsalz oder dergleichen", sagt Wallner.

Dann mischt er seine Gewürzmischung unter - ihre genaue Zusammensetzung beziehungsweise das exakte Mischverhältnis ist streng geheim. Zu entlocken ist Wallner lediglich, dass eine Weißwurst keine Weißwurst wäre, enthielte sie nicht neben Salz noch Zitronenschale, Pfeffer, Muskatblüte und frische Petersilie. Am Vakuumbefüller steht schon Wallners Mitarbeiter, der Metzger Wolfgang Bihler. Auf einen speziellen Aufsatz schiebt er den Schweinedarm, in den die Maschine die Wurstmasse füllt.

Es dauert nur wenige Minuten, bis die ersten 300 Würste fertig sind. Jede zwischen acht und zehn Zentimeter lang und etwa 75 Gramm schwer. Knapp 800 sind es am Ende, die Wallner in den elektronisch gesteuerten Kessel mit exakt 74 Grad heißem Wasser ungefähr 20 Minuten lang vorbrüht. Danach füllt Wallner die Weißwürste in einen mit Eis gefüllten Bottich und beschwert sie noch zusätzlich mit einem Holzbrett. "Die müssen immer richtig untergetaucht werden, damit sie schön weiß bleiben", sagt er.

Der Kälteschock, dem die Würste ebenfalls rund 20 Minuten ausgesetzt sind, dient dazu, den Garprozess zu unterbrechen: "Damit sie richtig schmecken", wie Wallner sagt.

Mittlerweile ist es sieben Uhr. Im Wurstkeller sind bereits die Einkäufer der Gastronomie eingetroffen und holen Wallners Würste ab. Oben, vor dem Lokal, stehen schon mindestens eine Viertelstunde lang die ersten Gäste: Münchner vor der Arbeit oder Großmarkthändler nach der Arbeit. Ihre erste Frage: "Und? San die Weißwürscht scho' heiß?" Es ist, ganz klar, eine rhetorische Frage.

Die Gaststätte Großmarkthalle mit Straßenverkauf in der Kochelseestraße wird im Volksmund "der Wallner" genannt. Sie hat werktags von 7 bis 17 Uhr geöffnet, samstags bis 13 Uhr. An Sonn- und Feiertagen ist sie geschlossen.

© SZ vom 17.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: