Türkei:Erdoğans Härte

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Der türkische Präsident muss um seine Wiederwahl fürchten und setzt deswegen auf Konfrontation. Die Opposition lässt er von der Straße prügeln, die Frauen degradiert er zu Bürgerinnen zweiter Klasse. Aus dem Ausland hat er leider wenig zu fürchten.

Von Tomas Avenarius

Die Geschwindigkeit, mit der sich das politische Klima in der Türkei verändert, ist atemberaubend. Über Nacht, ohne Begründung und ohne jede Debatte, entscheidet der Staatschef, dass das Land die Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen vor männlicher Gewalt kündigt. Ein bekannter Abgeordneter der pro-kurdischen linken Oppositionspartei HDP wird nur einen Tag später im Parlament festgenommen, vor seinem Büro, auf dem Weg zum Morgengebet, in Pantoffeln.

Gegen die Partei dieses Volksvertreters, immerhin zweitstärkste Oppositionskraft des Landes, wurde wenige Tage zuvor ein Verbotsverfahren eingeleitet, wegen Separatismus und angeblicher Unterstützung terroristischer Strukturen. Und dann feuert Präsident Recep Tayyip Erdoğan auch noch den Zentralbankchef und stellt die gerade erst reformierte Finanzpolitik auf den Kopf. Das Vertrauen internationaler Investoren gewinnt die wirtschaftlich instabile Türkei so nicht zurück. Und das der Bürger, die etwas von Ökonomie verstehen, auch nicht.

Die Kündigung der Istanbul-Konvention ist ein Schlag ins Gesicht der türkischen Frau. Sie soll sich als das begreifen, was sie in den Augen von Islamisten und ewig gestrigen Traditionalisten ist: Mensch und Bürgerin zweiter Wahl. Dass der Präsident dies offenbar allein entschieden hat, macht es noch deutlicher: Der Rückhalt bei den Islamisten ist Erdoğan wichtiger als das Wohl der Hälfte der Bevölkerung.

Das Verbotsverfahren gegen die HDP zeigt ein ähnliches Denkmuster: Wer Opposition betreibt, ist demnach ein Feind. Wer sich politisch für die Anliegen der kurdischen Minderheit einsetzt, ist ein Terroristen-Freund. Man kann über die Nähe der HDP zur terroristischen Kurdenorganisation PKK unterschiedlicher Meinung sein. Aber die HDP ist zweitstärkste Oppositionskraft im Parlament, ihre Abgeordneten wurden nicht nur von Kurden gewählt, sondern ebenso von nicht-kurdischen Linken, von Liberalen. Ihnen allen soll die Mitsprache verweigert werden. Auch das ist eindeutig.

Erdoğan sucht die Konfrontation - innen- und außenpolitisch. Eine Erklärung dafür sind seine innenpolitischen Probleme. Er und seine Partei AKP verlieren an Rückhalt, der Präsident muss um die Wiederwahl 2023 fürchten. Dieses Problem geht er in gewohnt rücksichtsloser Art an: Er lässt die Opposition von der Straße prügeln, einsperren, per Gerichtsurteil vom politischen Geschäft ausschließen, und er degradiert die Frauen.

Dabei schert ihn auch die außenpolitische Isolation nicht. Der neue US-Präsident zeigt ihm ohnehin die kalte Schulter, Joe Biden hat Erdoğan bisher nicht kontaktiert. Und das, obwohl die Türkei ein wichtiger Nato-Partner ist, ein enger Verbündeter der USA war. Bis sie Waffen in Russland kaufte.

Und Europa? Von Erdoğans Einmischung in die Bürgerkriege in Syrien und Libyen bis zur Kanonenboot-Politik gegenüber Griechenland im Mittelmeer hat Brüssel wenig Anlass, die Türkei noch als Partner wahrzunehmen. Allein die Wirtschaftsbeziehungen und das Dauerthema Flüchtlinge zwingen die EU noch, eine halbwegs zuversichtliche Miene zu Erdoğans unglaubwürdigen Reformversprechen zu machen.

Bei alledem weiß der türkische Präsident nur zu gut, dass er die zahnlosen Sanktionsankündigungspolitiker in Brüssel und Berlin nicht ernst nehmen muss: Ihm passiert ja ohnehin nichts. Auch eine spürbare Reaktion aus Washington lässt noch auch sich warten. Erdoğan also wird einstweilen weiter auf Härte setzen.

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