Terrormiliz Islamischer Staat:Der "Kalif" ist tot, die Gefahr bleibt

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Vor einem Jahr sprengte sich Abu Bakr al-Baghdadi in die Luft. Doch seine Ideologie findet weiter mörderische Anhänger. Europa muss dagegenhalten - durch einen demokratischen Dialog mit Muslimen.

Von Paul-Anton Krüger

Ein Jahr ist es her, dass sich der selbsternannte Kalif der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in die Luft gesprengt hat. Abu Bakr al-Baghdadi entzog sich damit einer US-Spezialeinheit. Schon damals war klar, dass mit seinem Tod weder der IS als Organisation erledigt sein würde, noch die extremistische Ideologie des radikalen Islamismus. Sowohl der Dresdner Attentäter von vergangener Woche als auch der Mann, der den französischen Lehrer Samuel Paty enthauptete, waren offenbar davon inspiriert, hatten Kontakte zu Extremisten gesucht oder gehabt.

Nun Einwanderung generell verantwortlich zu machen für diese abscheulichen Taten, wird genauso wenig dazu beitragen, solche Anschläge künftig zu verhindern, wie der Versuch, die hier lebenden Muslime in Mithaftung zu nehmen. Das spielt nur den Terroristen in die Hände. Der IS hat die "Auslöschung der Grauzone" propagiert. Er wollte den Muslimen weismachen, dass ihr Glauben nicht vereinbar sei mit dem Leben in den freiheitlichen Demokratien des Westens. Wer diese verteidigen will mit ihren Werten wie Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit, sollte solchen Argumenten keine Nahrung geben.

Es hilft aber nichts - auch nicht der übergroßen Mehrheit der rechtstreuen Muslime -, die Radikalisierung einiger allein mit gesellschaftlichen Umständen erklären zu wollen. Mangelnde Integrationsangebote, die Kolonialgeschichte, der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft, individuelle Zurücksetzungen oder verletzte religiöse Gefühle sind keine Rechtfertigung für Terror, Hasspredigten oder Aufstachelung zur Gewalt.

Die Bedrohung durch extremistische Ideologien nicht ernst zu nehmen, macht es Tätern nur leicht. Das hat in Deutschland der naive Umgang mit dem Rechtsterrorismus gezeigt. Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat muss sich mit seinen Mitteln verteidigen: dem Recht, der Strafverfolgung, der Terrorabwehr. Und dem demokratischen Diskurs. Er muss seine Instrumente schärfen, wo es nötig ist - aber nicht, um von möglichem Behördenversagen abzulenken. Und er wird womöglich damit leben müssen, dass er islamistische Gefährder nicht einfach nach Syrien abschieben kann.

Der Rechtsstaat sollte sich bei der Bekämpfung des radikalen Islamismus auch nicht auf Regime wie in Algerien, Ägypten oder den Vereinigten Arabischen Emiraten stützen. Ihr vermeintlich moderater Staatsislam ist Mittel des Machterhalts, seine hohlen Verkündungen sind Teil des Problems. Diese Staaten geben vor, die Muslimbruderschaft zu bekämpfen, weil deren Politisierung der Religion die Wurzel allen Terrors sei. Über die Salafisten halten sie die Hand, solange diese den Machtanspruch der Monarchen und Militärdiktaturen nicht infrage stellen. Deren fundamentalistische Auslegung des Islam aber bildet den Kern dschihadistischer Ideologie. Auch die Muslimbrüder sind freilich keine Demokraten. Wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich zu ihrem Bannerträger aufschwingt, ist die Frage berechtigt, was das für den türkischen Staatsislam heißt, der in Deutschland großen Einfluss hat.

Die Europäer müssen der Instrumentalisierung der Religion durch Herrscher im Nahen Osten einen demokratischen Dialog mit den Muslimen entgegensetzen, und diese als vollwertige Bürger behandeln. Und sie müssen genau hinsehen, wie der IS im Irak und in Syrien, aber auch im Sahel die nächste Phase seines apokalyptisch verbrämten Kriegs vorbereitet. Sonst wird Europa bald wieder eingeholt werden von den Schrecken vergangener Jahre.

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