Russland:Alles unter Kontrolle

Lesezeit: 2 min

Die russische Führung schränkt im Wahljahr das Leben ihrer Bürger massiv ein und beschneidet die Möglichkeiten der Opposition.

Von Frank Nienhuysen

Das Leben in Russland wird in den ersten Januartagen auch ohne Corona immer extrem heruntergefahren: Gedruckte Zeitungen erscheinen nicht, die Behörden haben geschlossen, man sammelt sich für das neue Jahr - auch die russische Führung, denn diesmal geht es für sie um viel. Die Pandemie muss besiegt werden, die Wirtschaft aufgerichtet und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung begrenzt werden. In diesem Jahr wird in Russland ein neues Parlament gewählt, noch mehr Unsicherheiten, gar offenen Unmut können die Strategen im Kreml nicht gebrauchen. Auch deshalb hat Präsident Wladimir Putin in den Resttagen des alten Jahres seine Werkzeuge geschärft.

Mit einer Reihe von Gesetzen wird das bürgerliche und politische Leben im Wahljahr noch weiter eingeschränkt, Versammlungsrechte werden beschnitten und Risiken für all jene Bürgerinnen und Bürger erhöht, die sich kritisch äußern. Dies ist eine gefährliche Entwicklung in einem Land, das so groß ist, dass es von aktiven, ermunterten und auch kritischen Bürgern profitieren könnte. Doch von der politischen Führung in Moskau wird Freiheit offenbar zunehmend als Bedrohung empfunden.

Besonders radikal wirkt neben der verstärkten Kontrolle des Internets die verschärfte Variante des Gesetzes über "ausländische Agenten". Nachdem bisher nur Organisationen gezwungen wurden, sich zu registrieren, wenn sie eine Unterstützung aus dem Ausland erhalten, muss nun praktisch auch jede Russin, jeder Russe dieses Gesetz auf sich anwenden, wer auch immer Hilfe aus dem Ausland erhält und "politisch tätig" ist. Wo sind die Grenzen? In einem Neujahrsschreiben an Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich Putin voller Hoffnung auf eine deutsch-russische Zusammenarbeit im neuen Jahr. Das Agentengesetz hemmt jedoch den Austausch zwischen den Gesellschaften beider Länder, denn jede russische Stiftung, jeder Künstler, wird sich nun zweimal überlegen, Zuschüsse oder sonstige Unterstützung anzunehmen, die es in Russland kaum gibt.

Moskau verstärkt die Kontrolle über seine Bürger und treibt sie bewusst in eine lähmende Unsicherheit. Was noch erlaubt ist, was schon verboten, wer kann das schon wissen? Dabei wirkt die Führung selbst verunsichert, offenbar geprägt von dreierlei Erfahrungen: den erstmaligen Massenprotesten nach der Parlamentswahl vor zehn Jahren, den Demonstrationen in Russlands Fernem Osten im abgelaufenen Jahr und der hartnäckigen Protestbewegung im Nachbarland Belarus.

Es war Alexej Nawalny, der im russischen Protestwinter 2011/12 Furore machte und für die Regierungspartei den Begriff "Partei der Gauner und Diebe" etablierte. Dass die Behörden Nawalny nun mit neuen Betrugsvorwürfen konfrontieren und ihm mit Haft drohen, erfolgt mit Kalkül: Es ist schwer vorstellbar, dass Nawalny sich vor der Wahl zurück nach Russland traut, um sich dort persönlich gegen die Regierungspartei zu stemmen. Nawalny im Ausland, seine wichtigste Mitarbeiterin Ljubow Sobol wird von den Behörden eingeschüchtert - all das erschwert massiv die Arbeit der Opposition.

Die Demonstrationen im Nachbarland Belarus haben gezeigt, wie Wahlen den Wunsch nach Wandel verstärken können. Auch in Russland gibt es einen Wunsch nach Veränderungen. Genau deshalb rüstet sich Moskau gegen die eigene Bevölkerung. Und die Kluft zwischen Politik und Gesellschaft wird immer größer.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: