Profil:Die freie Radikale

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Regisseurin Julia von Heinz feiert Erfolge mit einer sehr persönlichen Geschichte. Ihr Film mit Chance auf einen Oscar handelt vom Idealismus und den Abwegen einer Antifa-Kämpferin

Von Tobias Kniebe

Es gibt ein Privatfoto der Regisseurin Julia von Heinz aus den frühen Neunzigerjahren, das viel mit dem Erfolg ihres neuen Films zu tun hat. Man sieht sie darauf im Alter von etwa fünfzehn Jahren im Zentrum einer Gruppe junger Frauen in der Bonner Innenstadt. Alle sind in martialischer Aufmachung und schauen herausfordernd in die Kamera. Julia von Heinz trägt gefleckte militärische Tarnhosen und ein weißes Tanktop, in Händen hält sie eine Schreckschusspistole. Andere präsentieren weitere Waffen, Baseballschläger und Eisenstangen, ein voller Bierkasten ist ebenfalls im Bild.

So inszenierten sich die Frauen der antifaschistischen Gruppe in Bonn, der Julia von Heinz damals angehörte, leicht ironisch selbst. Ihr Kampf gegen rechtsradikale Umtriebe in Deutschland, zur Zeit der tödlichen Brandanschläge in Mölln und der Ausschreitungen gegen Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen, war allerdings bitter ernst und leidenschaftlich. Zehn Jahre hat Julia von Heinz, geboren 1976, sich diesem Kampf gewidmet. Vor dem Filmemachen, sagt sie, war das "fast wie mein Beruf". Seit Anfang des Millenniums treibt sie die Idee um, die Erlebnisse jener Zeit in einen fiktionalen Spielfilm zu verwandeln.

Zwanzig Jahre hat es gebraucht, bis sie ihr Drehbuch "Und morgen die ganze Welt" realisieren konnte. Inzwischen gibt es neue rechtsradikale Morde und auch eine neue Generation der Antifa, das spiegelt der Film, der in der Gegenwart angesiedelt ist - aber die gelebte Erfahrung der Regisseurin verleiht ihm eine besondere Wucht. Er zeigt den Weg einer Jurastudentin aus reichem Elternhaus in eine antifaschistische Gruppe und von dort zu gewaltsamen Aktionen, stellt diese Dynamik aber infrage: "Der Film hat dazu keine fertigen Antworten." Julia von Heinz nahm damit am Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig im September teil und wird auch für Deutschland ins Rennen um die Oscars für den besten fremdsprachigen Spielfilm gehen. Nun läuft "Und morgen die ganze Welt" in den Kinos, für wenige Tage vor den Corona-Schließungen und von 3. Dezember an wieder.

Bis es so weit war, musste Julia von Heinz einige Umwege in Kauf nehmen. Acht Mal hat sie sich erfolglos an Filmhochschulen beworben. "Mein Verdacht ist, dass ich auch abgelehnt wurde", sagt sie, "weil ich schon so früh zwei kleine Kinder hatte." Sie ließ sich dann zunächst zur Kamerafrau ausbilden. Filmhochschulerfahrung holte sie nach, als sie eine Assistenz für den Regisseur Rosa von Praunheim an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg annahm, den sie als Mentor bezeichnet.

Julia von Heinz' Langfilmdebüt "Was am Ende zählt" aus dem Jahr 2007 wurde freundlich aufgenommen, führte aber zunächst nicht zu weiteren Engagements. So war sie dankbar, als die Produktionsfirma Ufa sie mit der Filmfortsetzung "Hanni und Nanni 2" beauftragte: "Ich musste früh im Markt funktionieren". Für die Ufa drehte sie später auch die Pilgersaga "Ich bin dann mal weg" nach dem Bestseller von Hape Kerkeling und etablierte sich als kommerziell erfolgreiche Regisseurin. Erfolge feierte sie auch im Fernsehen: "Katharina Luther" für die ARD widmete sich der Frau des Reformators, ein "Tatort" erregte Aufsehen mit einer komplexen Täter-Opfer-Beziehung.

Im Hinterkopf aber blieb immer der alte Autorenfilmer-Traum, das eigene Drehbuch aus der Antifa-Szene zu verfilmen. Auf der Suche nach der Finanzierung gab es so viele Absagen, dass Julia von Heinz eine besondere Aversion der Geldgeber gegen explizit politische Stoffe vermutet. Verbündete fand sie schließlich bei den Förderungen vom Bund, von Bayern, Berlin-Brandenburg und Baden-Württemberg, eine französische Produktionsfirma schloss die letzte Finanzierungslücke. "Es war befreiend, als ich endlich drehen konnte", sagt sie, "wie das Ende eines langen Kampfes."

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