Profil:Chronist der Revolution

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Immer wieder werden in Belarus Journalisten ins Gefängnis geworfen. Jetzt sitzt auch Jan Awsejuschkin hinter Gittern, der für die "Süddeutsche Zeitung" gearbeitet hat. Das Schicksal der Inhaftierten ist unklar.

Von Silke Bigalke, Moskau

Seit einer Woche sitzt der belarussische Journalist Jan Awsejuschkin im Gefängnis in Schodsina, außerhalb von Minsk. Ein Gericht hat ihn zu 15 Tagen Haft verurteilt, wegen "Teilnahme an einer ungenehmigten Massenveranstaltung". Jan Awsejuschkin arbeitet für die nicht-staatliche Nachrichtenagentur Belapan, er hat im August auch an mehreren Beiträgen für die Süddeutsche Zeitung mitgewirkt.

Seit Monaten vergeht in Belarus kein Sonntag ohne Massenproteste. Und es vergeht kein Protest ohne Festnahmen, vergangenen Sonntag waren es mehr als tausend. Journalisten, die über die Demonstrationen berichten, trifft es oft mit als erste. Reporter, Fotografen und Kamerateams berichteten immer wieder, wie Polizei und Einsatzkräfte gezielt Jagd auf sie machten. Jan Awsejuschkin wusste, dass Akkreditierung und Presseausweis ihn nicht schützen würden.

Seit Beginn der Proteste hat der 29-Jährige verschiedene ausländische Medien unterstützt, deren Reporter wegen Corona-Reisebeschränkungen nicht vor Ort sein konnten, oder denen die Akkreditierung durch das Regime verweigert wurde. An jenem Augustwochenende, als er für die SZ in Minsk unterwegs war, lag die manipulierte Präsidentenwahl erst zwei Wochen zurück. Der Schock über die Gewalt der ersten Protestnächte, über die Folter in den Gefängnissen war noch frisch. Mehrere Tausend Menschen waren festgenommen worden, die meisten kamen nach einigen Tagen mit Blutergüssen oder schlimmeren Verletzungen aus den Haftanstalten nach Hause, waren geschlagen, missbraucht und gedemütigt worden. 15 Tage in einem belarussischen Gefängnis bedeuten 15 Tage voller Unsicherheit.

Damals im August schilderte Jan Awsejuschkin seine Eindrücke von den Protesten am Telefon. Er berichtete etwa, wie Soldaten das Kriegsdenkmal in Minsk, die berühmte Stele, mit Stacheldraht umzäunten. Wie Alexander Lukaschenko im Hubschrauber über die Stadt flog. Wie die Demonstrierenden vor dem Präsidentenpalast friedlich blieben, während sich der Machthaber hinter dem Zaun mit einer Kalaschnikow in der Hand fotografieren ließ.

Jan Awsejuschkin spürte damals schon Ernüchterung. Die Menschen ahnten bereits, dass sich Lukaschenko so schnell nicht geschlagen geben würde. "Die Euphorie der ersten Protestaktionen ist weg", berichtete der Journalist, "es ist Müdigkeit zu spüren." Aber eben auch Entschlossenheit, weiterzumachen. Das ist nun drei Monate her.

Journalisten sind das erste Ziel der Sicherheitskräfte

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zählt inzwischen 13 000 Festnahmen, vermutlich sind es mehr. Der belarussische Journalistenverband BAJ listet 478 Fälle von Repressionen gegen Journalisten auf. Sie wurden festgenommen, geschlagen, mit Gummikugeln angeschossen, vor Gericht gestellt und dafür bestraft, dass sie ihren Job machten. Beinahe täglich kommen neue Fälle hinzu. "Bei den meisten Kollegen ist die Angst da, wenn sie zur Arbeit raus in die Stadt gehen", sagte etwa Natalja Lubnewskaja von der Zeitung Nascha Niwa. Ein Gummigeschoss hatte sie im August ins Bein getroffen, ein Mann in Uniform hatte sie aus nächster Nähe abgefeuert. Die Journalistin lag länger als einen Monat im Krankenhaus.

"Es fällt mir schwer, mein Privatleben zu planen", sagte kürzlich Jelena Tolkatschowa, Politikredakteurin bei der Nachrichtenseite Tut.by. Man wisse nie, ob man nach einem Protest nach Hause komme. "Wenn man festgenommen wird, weiß man nicht, wie lange man festsitzt." Wer in einer belarussischen Haftanstalt landet, ist selbst für Familienangehörige nicht zu erreichen, manchmal nicht mal auffindbar. Außer Jan Awsejuschkin sitzen laut BAJ derzeit 16 weitere Journalisten in Haft. Über ihr Schicksal ist wenig bekannt.

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