Olympia in Tokio:Alles verspielt

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Japan und das IOC hätten die Spiele auf 2022 verschieben können, um sichere, bunte Wettbewerbe vor großem Publikum zu ermöglichen. Doch sie entschieden sich für diesen Sommer - des Geldes wegen. So macht man eine großartige Idee kaputt.

Von Thomas Hahn

Spiele sind wichtig. Sie zerstreuen die Sorgen des Alltags. Weiten die Perspektive. Bringen Menschen zusammen. Fördern die Freude am Wettbewerb. Wer die Spiele nicht ehrt, wird im Ernst versinken. Deshalb sollte keiner sagen, es sei egal, ob und wie die Olympischen und Paralympischen Spiele in diesem Jahr stattfinden werden. Und deshalb ist es umso trauriger, dass Funktionäre und Politiker gerade dabei sind, sie zu beschädigen.

Die Debatten um die Sommerspiele 2020 in Tokio haben im vergangenen Jahr schon gezeigt, dass von den verantwortlichen Funktionären und Politikern keine Weitsicht zu erwarten ist. Lange redeten Japans Regierung und das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit taktischen Stehsätzen an der Coronavirus-Krise vorbei. Sie schützten nicht die Spiele, sondern die wirtschaftlichen Interessen, die sie damit verbanden. Die Zahlen der Infektionen und der Toten stiegen steil an. Experten warnten. Athletinnen und Athleten forderten die Verschiebung. Aber der IOC-Präsident Thomas Bach sah nur "ernsthafte Probleme mit den Qualifikationswettbewerben". Und Shinzo Abe, damals Japans Premierminister, rief seinen Freund Donald Trump in Washington an, damit dieser nicht noch einmal Tokios Spiele infrage stelle.

Ende März beugten sie sich dann doch den Tatsachen. Aber sie verlegten die Spiele nicht etwa um zwei Jahre, wie es naheliegend gewesen wäre, sondern nur um eines. Die Folge: Jetzt, knapp sieben Monate vor der neu angesetzten Eröffnungsfeier am 23. Juli, stecken Japans Regierung und das IOC wieder fest in der pandemischen Wirklichkeit mit steigenden Infektionszahlen und Covid-19-Angst. Sie sagen, die Spiele finden sicher statt. Aber so einfach ist es nicht.

Es ist ein Lehrstück über eine geldgetriebene Elite

Olympia und die Pandemie - das könnte der Titel eines Lehrstücks sein, das von der Anmaßung einer geldgetriebenen Elite handelt. Olympia, diese Weltmesse der menschlichen Leistungsfähigkeit, hätte tatsächlich so etwas wie das Fest am Ende der Krise werden können. Ob 2022 wirklich alles ausgestanden ist, kann keiner sagen. Aber mit dem späteren Termin wäre mehr Zeit gewesen, um Impfstoffe wirken zu lassen und die Krise zu lindern. Kleinere internationale Meisterschaften hätten Tests für das größte Sportfest der Welt in Tokio werden können. Und mit etwas Glück hätten am Schluss mehr als 11 000 Sportlerinnen und Sportler aus der ganzen Welt vor einem internationalen Publikum zu richtigen, bunten Spielen zusammenkommen können. Gefolgt von den Paralympics, den Weltspielen des Behindertensports, die Tokio mit ihrer ganz eigenen Heiterkeit erleuchtet hätten.

Aber so?

So werden die letzten Vorbereitungen auf die angeblich sicheren Spiele zu einem Stellungskampf der Wirtschaftsinteressen. Japan und das IOC sind sich in dieser Hinsicht recht ähnlich.

Das IOC ist eine Non-Profit-Organisation, die im Grunde ein Forum für universelle Menschenrechte sein sollte. In manchen Augenblicken des Sportalltags wird es diesem Anspruch auch gerecht. Auf der anderen Seite gibt es im IOC-Reglement ein Demonstrationsverbot, nach dem zum Beispiel bekennende "Black Lives Matter"-Vertreter in Olympia-Arenen ein Problem mit dem Kampfgericht bekommen könnten. Und gerade Präsident Thomas Bach verhält sich gegenüber menschenrechtlich nicht unbedenklichen Spiele-Gastgebern wie China oder Russland derart neutral, dass man gar nicht immer weiß, welche politische Haltung er eigentlich vertritt. Die Tokio-Spiele muss das IOC über die Bühne bringen, weil es die Rechte daran für viele Milliarden Dollar an Fernsehsender und Sponsoren verkauft hat.

Für Japans rechtskonservative Regierung wiederum waren die Sommerspiele immer vor allem als Konjunkturspritze gedacht. Sie sollen die Werbeplattform für das coole Japan sein, das Gäste aus der ganzen Welt zum Geldausgeben einlädt. Das war unter Abe so, das ist auch jetzt unter Abes glanzlosem Nachfolger Yoshihide Suga so. Suga muss in der Pandemie die Wirtschaft wiederbeleben. Das soll vor allem durch Anreize zum Konsum gelingen, zum Beispiel durch die sogenannte Go-to-Travel-Kampagne, bei der der Staat Gutscheine und Rabatte für Touristen finanziert. Oder eben durch ein Ereignis wie die Sommerspiele. In den Wirtschaftsprognosen für 2021 sind Olympia und Paralympics als Einnahmequelle eingerechnet.

Die Botschaft: Im Sommer muss gefeiert werden - egal wie

Für das IOC und Japans Regierung sind die Spiele keine Spiele. Sondern der bittere Ernst des Wirtschaftslebens. Zeit ist Geld, deshalb geht die Nachhaltigkeit über Bord. Zweifel lassen die Beteiligten nicht zu. Ihre Botschaft: Im Sommer muss gefeiert werden, egal wie. Dabei muss gerade Suga spüren, dass diese Zuversicht nicht zur Wirklichkeit passt. Die Infektionswerte bleiben relativ hoch, obwohl die Japaner diszipliniert sind. Die Go-to-Travel-Kampagne wurde ausgesetzt, die Einreisebeschränkungen sind wieder verschärft. Noch diese Woche erklärt der Premier wohl den Notstand für Tokio und drei Nachbarpräfekturen. Olympische Vorfreude könnte dem Land gerade kaum ferner sein. Trotzdem hat Suga in seiner Neujahrsansprache gesagt, die Spiele würden "ein Symbol für weltweite Solidarität". Meint er, was er sagt?

So macht man Spiele kaputt: indem man vorlebt, dass ihre Werte im Grunde nur der Vorwand sind, um irgendeine Art wirtschaftlichen Erfolgs zu haben. Heftige Doping- und Korruptionsskandale hat die olympische Familie schon weggesteckt, weil sich im bunten Betrieb der Spiele irgendwann doch wieder eine glaubhafte, rührende Geschichte ereignete. Diesmal weiß man nicht so genau, wie das gehen soll, weil es mehr Reden als echte Antworten gibt. Vielleicht wird im Sommer wirklich irgendeine Veranstaltung stattfinden, für die man das Olympische Feuer anzündet, die steril feiernde Medaillengewinner hervorbringt und Bilder für die Fernsehrechteinhaber abwirft. Aber es werden sicher Spiele, denen man ansieht, dass die Pandemie nicht vorbei ist.

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