Im Profil:Lew Ponomarjow

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Die russische Regierung stuft den unbeugsamen Menschenrechtler nun als "ausländischen Agenten" ein.

Von Frank Nienhuysen

Vor ausländischen Agenten sollte man sich schützen. Russland aber schützt sich nun vor Lew Ponomarjow. Er ist 79 Jahre alt, trägt gern eine Schiebermütze und ist einer der bekanntesten Menschenrechtler Russlands. Das Land könnte ihn ehren, das Land aber brandmarkt ihn. Ponomarjow steht nun im Register des Justizministeriums als "ausländischer Agent". Als eine von fünf ersten Einzelpersonen, die nach Einschätzung der Behörden politisch oder journalistisch aktiv sind und eine Unterstützung aus dem Ausland erhalten.

Die kürzlich erlassene Gesetzesnovelle dazu ist so vage, dass sie bei weiter Auslegung ebenso gut Studierende treffen könnte, die mit einem Auslandsstipendium aus der Dachkammer öffentlich posten, wie schmutzig die Stadtluft in Norilsk ist. Ponomarjows spontane Reaktion: "Ich bin etwas verwundert. Ich schreibe doch kaum. Und dafür bekomme ich auch kein Geld."

Trotzig rief er seine Mit-Agenten auf, sich nun zu verbünden und eine Organisation zu gründen mit dem Namen "Ausländische Agenten - für Menschenrechte". Dazu muss man wissen: "Für Menschenrechte" heißt die Organisation, die Ponomarjow 1997 gegründet hatte. Vergangenes Jahr wurde sie vom Obersten Gericht aufgelöst, weil die Behörden auch ihr den fragwürdigen Agenten-Stempel aufgedrückt hatten. Ponomarjow hatte sich daraufhin geweigert, die eigene Internetseite mit dem unbeliebten Label zu versehen. Ja, er habe Hilfe von den Vereinten Nationen erhalten, aber dort sei Russland doch Mitglied. Sogar die Bundesregierung setzte sich für ihn ein.

Seine schonungslose Kritik hatte einen hohen Preis

Ausländischer Agent - für Ponomarjow ist das Gesetz ein perfides Werkzeug. Entweder solle damit die Glaubwürdigkeit von Menschenrechtlern untergraben oder diese sollten in finanzielle Not getrieben werden. Denn wer das Etikett umgehen will, muss auf internationale Spenden oder Zuschüsse verzichten. Das macht Menschenrechtsarbeit in Russland immer schwieriger.

Seine Direktheit und schonungslose Kritik am eigenen Land hat Ponomarjow seit Jahrzehnten immer wieder bittere Zeiten beschert, Ärgernisse und juristische Konfrontationen. Und große Enttäuschungen. Vor zwei Jahren fügte sich dies für ihn tragisch zusammen. Ponomarjow war zu 25 Tagen Haft verurteilt worden, weil er zu einer nicht genehmigten Protestkundgebung aufgerufen hatte. In dieser Zeit starb im hohen Alter Ljudmila Alexejewa, die als große inspirierende Dame der sowjetischen und russischen Menschenrechtsbewegung galt und seine langjährige Wegbegleiterin war. Ponomarjow bat, seine Haft unterbrechen und zu ihrer Beerdigung gehen zu dürfen. Er durfte nicht. Offiziell, weil er ihr nicht nahe genug stand.

Es braucht viel Überzeugung und Belastbarkeit, immer wieder Barrieren zu überspringen, Wände zu durchdringen und Rückschläge wegzustecken. Jahrzehntelang. In der Sowjetzeit war es ja wirklich nicht leichter gewesen.

Lew Ponomarjow wurde im sibirischen Tomsk geboren, studierte Physik und gehörte Ende der Achtzigerjahre zu den Gründern der Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich der Aufarbeitung der Stalin-Verbrechen verschrieb. In der Wendezeit ging er in die Politik, wurde Abgeordneter im Volksdeputiertenkongress und später auch Oppositionspolitiker in der russischen Duma.

In der Epoche Wladimir Putins war der viermalige Vater immer wieder Kritiker des Präsidenten und seiner Politik. Ponomarjow setzte sich für Freiheit ein, wo immer er sie eingeengt sah. Er eckte an, weil er sich gegen das Verbot der Zeugen Jehovas einsetzte, von Folterungen in der Armee sprach und die Gerichtsprozesse gegen Chodorkowskijs Ölkonzern Yukos kritisierte. Vor elf Jahren wurde er so heftig verprügelt, dass US-Präsident Barack Obama den Fall bei einem Besuch in Moskau ansprach. Die Tat hat Ponomarjow verletzt, eingeschüchtert hat sie ihn nicht.

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