Großbritannien:Flott die Seiten gewechselt

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Nach dem Machtwechsel in den USA muss Boris Johnson die oft beschworene besondere Beziehung zu den USA neu begründen. Gemeinsame Interessen mit Joe Biden gibt es zuhauf, allein es fehlt die Vertrauensbasis.

Von Alexander Mühlauer

Über Joe Biden heißt es in London, er sei einer der wenigen Politiker, die Boris Johnson noch nicht beleidigt habe. Umgekehrt lässt sich das nicht behaupten: Der neu gewählte US-Präsident hat den britischen Premier vor nicht einmal einem Jahr als Klon Donald Trumps bezeichnet. Kein Wunder, dass Johnson nun seinen Charme spielen lässt: Er will Biden davon überzeugen, dass er alles andere ist als eine britische Kopie von Trump. Im Unterhaus schwärmte der Premier davon, wie "erfrischend" es sei, dass Biden internationale Organisationen verteidige. Den Namen Trump erwähnte Johnson erst gar nicht, er sprach nur vom "früheren Präsidenten". Der Premier bleibt sich also treu: Er schlägt sich mal wieder auf die Seite, von der er sich den größtmöglichen Vorteil verspricht. Das ist opportunistisch, aber so ist Johnson eben.

In London ist man sich bewusst, dass der Premier die von Winston Churchill beschworene special relationship neu begründen muss. Gerade in Johnsons Konservativer Partei herrscht Verunsicherung, ob diese besondere Beziehung mit den USA noch das ist, was sie einmal war. Nun, es spricht einiges dafür, dass Biden sich ein Beispiel an Barack Obama nehmen dürfte und zunächst Kanzlerin Angela Merkel - und mit ihr die EU - als wichtigste Partnerin in Europa betrachtet. Dennoch: Klammert man den Brexit aus, verbinden Johnson mehr Interessen mit Biden als mit Trump. Der noch amtierende Präsident ist vor allem deshalb ein Brexit-Anhänger, weil der britische EU-Austritt Europa als Ganzes schwächt. Außer netten Worten hatte Trump für Großbritannien nicht viel übrig. Zu dem von Johnson erhofften Handelspakt kam es nicht.

Johnson sollte Bidens Brexit-Warnung ernst nehmen

Im Gegensatz zu Trump verbindet Johnson und Biden vor allem der Kampf gegen die Klimakrise. Der Premier ist in dieser Frage progressiver als manch Grüner in Deutschland. Der UN-Klimagipfel, der im kommenden Jahr in Glasgow stattfindet, soll sein umweltpolitisches Meisterstück werden. Hoffnung gibt es auch für das Atomabkommen mit Iran, das Johnson auch nach dem Ausstieg Trumps weiter voll unterstützt. Geopolitisch eint London und Washington das Ziel, den Westen und dessen Werte gegenüber autoritären Staaten wie Russland und China zu verteidigen. Die traditionell enge Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik und Terrorabwehr wird weiter bestehen.

Gemeinsame Interessen gibt es zuhauf, was bislang fehlt, ist eine Vertrauensbasis. Johnson könnte seinen Beitrag dazu leisten, indem er Bidens Brexit-Warnung ernst nimmt. Für den irischstämmigen President-elect ist das Karfreitagsabkommen, das den Nordirland-Konflikt beendete, heilig. Johnson hat Biden zugesichert, dieses zu wahren. Nun muss er in den Verhandlungen über einen Handelspakt mit der EU beweisen, dass er das auch tut. Das Problem ist Johnsons Binnenmarktgesetz, von dem Irland befürchtet, es gefährde den Frieden auf der Insel. Am elegantesten könnte der Premier alle Sorgen zerstreuen, indem er einen Deal mit Brüssel schließt und sein Gesetz damit hinfällig wird.

Ob es dazu kommt, ist offen. Johnson wird sich nur für einen Handelspakt mit der EU entscheiden, wenn er sich davon mehr Vorteile verspricht als ohne Deal. Bis auf die Irland-Frage dürfte Biden keinen großen Einfluss haben. Weitaus bedeutender sind da schon die Grabenkämpfe in Downing Street. Dort beginnt die Macht der Brexiteers zu bröckeln. Und damit auch der Trumpismus in London.

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