Unter den vielen Statistiken der Pandemie gehören die Kurven der Toten und die der Intensivbetten zweifellos zu den dramatischsten. Beide haben am Mittwoch mit 962 Covid-Toten und 5243 belegten Intensivbetten Höchststände erreicht. Und wenn sich die Menschen über die Festtage nicht zusammenreißen, dann wird die Kurve der belegten Intensivbetten womöglich erst dann ein Plateau erreichen, wenn sie einfach nicht mehr weiter steigen kann. Weil keine Betten mehr da sind, die belegt werden könnten. Man mag sich nicht ausmalen, was das für die Kranken, ihre Angehörigen und die Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken bedeutet. Denn die Entscheidung darüber, wer leben darf und wer sterben muss, wird dann nicht mehr abzuwenden sein.
Dass eine solche Triage bald nötig sein würde, davor warnten am Dienstag Deutschlands Intensivmediziner. Vor einigen Tagen war noch einem Arzt aus Zittau widersprochen worden, der sagte, dass in seiner Klinik dieser Zustand schon erreicht sei. Nun ist zu hören, dass die sächsische Stadt zum deutschen Bergamo wird. Weil das Krematorium mit dem Verbrennen der vielen Toten nicht hinterherkommt, werden die Leichen zwischengelagert. Auch wenn es im Rest des Landes so schlimm noch nicht ist: Covid-19 ist ein Totmacher. Noch nie in der Geschichte der Republik sind so viele Menschen in so kurzer Zeit an einer einzigen Krankheit gestorben.
Dabei sind der Tod und die Intensivkapazitäten nicht einmal ein hinreichendes Maß, um die Bedrohung durch Covid-19 zu erfassen: Der Blick auf Tote und Schwerstkranke lenkt von anderen ernsten - und viel zahlreicheren - Dramen der Pandemie ab. So ist längst nicht alles gut, wenn die Intensivbetten noch reichen. Eine Intensivbehandlung kann Menschenleben retten, zweifellos, aber sie ist kein Garant für Gesundung. Jeder, der ein Intensivbett braucht, ist schrecklich krank geworden. Von denen, die es lebend verlassen, werden viele nie wieder so gesund sein wie zuvor.
Die Garantie auf Rückkehr zur alten körperlichen Normalität gibt es auch nicht, wenn man weniger schwer erkrankt. Die Krankheitslast durch Covid-19 ist erheblich, das tritt bei der Diskussion über Tote oft in den Hintergrund. Das ganze Ausmaß ist noch gar nicht bekannt, aber geschätzte zehn Prozent aller Covid-Patienten tragen lange an den Folgen, manche vielleicht ein Leben lang. Das bedeutet eine Last für die Menschen, die Gesellschaft und das Solidarsystem, die auch mit vielen Bazookas nicht mehr gut zu machen ist.
So ermüdend es sein mag: Es gilt zu verhindern, dass so viele Menschen überhaupt krank werden. Auch wenn die offenbar besonders ansteckende neue Virusvariante B.1.1.17 hierzulande noch wenig umgeht und die Impfung eine Verheißung ist: Weiterhin sind alle gefordert, ihre Kontakte zu reduzieren - gerade auch an Weihnachten. Jeder Covid-Kranke ist einer zu viel.
Es ist nicht nur eine Frage von Solidarität und Rücksichtnahme: Für die Alten geht es um ihr Leben. Für die Mittelalten um ihre Gesundheit. Für die Jungen aber geht es um nichts weniger als die Zukunft. Um ein Leben in einem Land, das durch ein Virus seine Moral und seine soziale Sicherung auf Dauer zu beschädigen droht. Das alles sind extrem gute Gründe, sich noch heute für ein besonderes Weihnachten zu entscheiden, für ein Weihnachten allein zu Haus.