Aktuelles Lexikon:Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Eine Attacke, welche die Gattung Mensch als Ganze betrifft - und vielleicht auch dem brasilianischen Präsidenten vorgeworfen wird.

Von Ronen Steinke

Hannah Arendt spottete über diesen eigenartigen juristischen Begriff. Im Grunde sei es das "Understatement des Jahrhunderts", dass man den Nazis in den Nürnberger Prozessen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vorgeworfen habe, schrieb die Philosophin im Epilog zu ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem". Das sei fast so, als habe es den NS-Tätern lediglich an etwas Menschlichkeit gemangelt, an guten Umgangsformen. Im englischen Original ist der Begriff viel klarer: "Crimes against humanity", wie es schon in Nürnberg mit Bezug auf den Holocaust hieß und wie jüngst zum Beispiel die Münchner Justiz der IS-Terroristin Jennifer W. vorwarf, das bezeichnet eine Attacke, die die Gattung Mensch als Ganze tangiert. So ist das gemeint mit der "Humanity". (Arendt konnte sich mit ihrem Übersetzungsvorschlag "Verbrechen gegen die Menschheit" nicht durchsetzen.) Nach der international gängigen Definition handelt es sich um einen "ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung", wobei es konkret um Mord, Versklavung, Verschleppung oder auch Vergewaltigungen gehen kann. Die Nazis haben solche systematischen Attacken verübt, die Terrormiliz IS unzweifelhaft auch. Aktuell beschäftigt sich in Brasilien die Justiz mit der Frage, ob man auch dem Präsidenten Jair Bolsonaro wegen dessen Corona-Politik diesen Vorwurf machen sollte.

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