Aktuelles Lexikon:Sippenhaft

Ein Wort aus dem Nazi-Repertoire, unangemessen für den Maskenskandal.

Von Detlef Esslinger

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sprach einen Satz, bei dem er sich bestimmt nichts weiter gedacht hatte; und genau das ist das Problem. Im Maskenskandal gehe es um das Fehlverhalten von einzelnen Personen, sagte er, "ich verwahre mich dagegen, die vielen Engagierten und Aufrichtigen in Sippenhaft zu nehmen". Mit der Sippenhaft ist es so wie mit vielen anderen Wörtern, die immer wieder unbedacht verwendet werden: Ihr Ursprung liegt stark im Nationalsozialismus. Die "Nacht-und-Nebel-Aktion" und das "Sondereinsatzkommando" sind typische Euphemismen aus dieser Zeit, der "Parteigenosse" sollte das NSDAP-Mitglied herausheben, die Redewendung "durch den Rost fallen" war eine besonders perfide Verspottung ermordeter Juden. Die Sippenhaft war eine Form der Bedrohung und Bestrafung, die die Nazis im Laufe der Jahre immer öfter anwandten. 1933 verhafteten sie vier Verwandte des früheren Reichskanzlers Philipp Scheidemann, weil der in der New York Times die Welt vor ihnen gewarnt hatte. Später sperrten sie die Familien von Deserteuren und Widerstandskämpfern ein. Zum Kriegsende saßen noch 139 Menschen allein aus den Familien der Verschwörer des 20. Juli fest. Was immer also CDU-Politiker Ziemiak zum Ausdruck bringen wollte: "Sippenhaft" war wohl das geschichtsvergessenste Wort, das ihm einfallen konnte.

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