Aktuelles Lexikon:Raachermannel

Im Erzgebirge gibt es jetzt ein Räuchermännchen in Gestalt eines "Klimaklebers". Was ist davon zu halten?

Von Cornelius Pollmer

Der Rauch als solcher stand einmal für Aufbruch und industriellen Fortschritt, inzwischen verzieht er sich aus fast allen Bereichen des Lebens. Schweden hat soeben angekündigt, das erste zigarettenrauchfreie Land der Welt werden zu wollen - und sogar auf den Bildern des Leipziger Malers Neo Rauch (!) qualmen die Schornsteine nicht mehr, wie der Künstler selbst vor ein paar Tagen im Gespräch mit der NZZ emotional eingetrübt anmerkte. Was Sachsen aber bleibt, das ist das Erzgebirge als sagenumwobener safe space für Erfindungsreichtum und Widerstandsgeist. Beides kommt zusammen auch in der Geschichte der Räucherkerzen beziehungsweise der diese kleidsam ummantelnden Männchen. Je leiser das "Berggeschrey" auf der Jagd nach Bodenschätzen einst wurde, desto mehr verlagerte sich die Region auf die Volkskunst und das zugehörige Handwerk. Das Räuchermännchen, im örtlichen Idiom "Raachermannel" genannt, ging dabei anders als mancher Industriebetrieb stets mit der Zeit. Zuletzt gab es eine Räucher-Merkel, einen Räucher-Drosten, und seit Neustem gibt es also einen räuchernden "Klimakleber", die als Straßenabschnitt gestaltete Bodenplatte inklusive. Ein Kommentar zum Zeitgeist? Bestimmt. Mehr noch aber ein Aufruf zu Gemütlichkeit und Frohsinn. So singt der Volksmund "Wenn es Raachermannel nabelt ... sei mr allezamm su fruh".

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