Aktuelles Lexikon:Offener Brief

Klingt besser, ist aber im weitesten Sinne auch nur eine Form der Öffentlichkeitsarbeit.

Von Martin Zips

In einem offenen Brief haben sich Betroffene sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche in Deutschland an die Politik gewandt. Sie kritisieren hier vor allem das Verfahren zur Zahlung von Anerkennungsleistungen. Im Gegensatz zur Privatsache ist eine solche, früher auch Sendschreiben genannte Mitteilung eine Möglichkeit, den Druck auf den oder die Empfänger zu erhöhen. Erwartet wird eine möglichst rasche Stellungnahme, womöglich sogar eine direkte Aktion. So löste zum Beispiel Émile Zolas berühmter offener Brief ("J'accuse"), in dem im Jahr 1898 die Dreyfus-Affäre thematisiert wurde, eine folgenreiche öffentliche Debatte aus. Ebenso der in der FAZ veröffentlichte offene Brief des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki an den Schriftsteller Günter Grass. Ähnlich wie die Pressemitteilung handelt es sich beim offenen Brief im weitesten Sinne um eine Form der Öffentlichkeitsarbeit. Ursprünglich wurden auch Urkunden und andere im öffentlichen Raum ausgehängte Verlautbarungen so bezeichnet. Heute dient der seit Isokrates bekannte offene Brief vor allem als Konfrontationsmittel in der Auseinandersetzung zwischen Personen sowie größeren Organisationen. Meist handelt es sich hier schlicht um den Versuch, mit einem Anliegen auch ohne übermäßige Reichweite ausreichend Gehör zu finden.

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