Aktuelles Lexikon:Kassensturz

Ein Begriff, der vielen Zwecken dient - zum Beispiel dem Verschleiern der wahren Absichten bei den Ausgaben

Von Bastian Brinkmann

Beim Umzug fällt es dann auf: In der Sofaspalte, hinter der Küchenschublade, in irgendeiner Ritze steckt noch Geld. Ein Regierungswechsel, wie ihn die Bundesrepublik im Herbst zumindest im Kanzleramt sicher erleben wird, ist ein besonders großer Umzug. Und auch hier fragen sich die Neugewählten nach der Ankunft in Berlin, ob noch irgendwo Geld zur Verfügung steht, das sie ausgeben könnten. Politiker und Politikerinnen sprechen dann gerne vom Kassensturz, als würden sie wie der Krämer im Mittelalter nach Ladenschluss die Kasse umdrehen und alles exakt auszählen, bevor sie entscheiden, wie viel Geld übrig ist für den ökologischen Umbau, den Ausbau der digitalen Infrastruktur, die Rente und das Gesundheitssystem. Der Verweis auf den angeblich ausstehenden Kassensturz soll im Wahlkampf helfen, sich bei den Ausgaben nicht festlegen zu müssen. Das Sprachbild, das auch in den Wahlkämpfen 1998 und 2005 zum Einsatz kam, darf als finanzwissenschaftlich veraltet bezeichnet werden. Denn wie viel ein Staat ausgeben kann, hängt nicht mehr nur davon ab, wie viel in der Kasse liegt, wie hoch also die Steuereinnahmen sind. Wichtig ist außerdem, wie hoch die Zinsen auf Staatsanleihen sind, wie günstig ein Land also an Kredite kommt. Die Bundesrepublik bekommt derzeit fast umsonst Geld oder erhält sogar Negativzinsen - und das gilt auch nach dem Wechsel im Kanzleramt.

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