Aktuelles Lexikon:Kaltzustand

Die etwas beschönigende Bezeichnung für einen heruntergefahrenen Reaktor.

Von Michael Bauchmüller

Die Betreiber des umkämpften Atomkraftwerks Saporischschja wollen nichts mehr riskieren, sie haben auch den letzten verbliebenen Reaktor, Nummer sechs, in den sogenannten Kaltzustand versetzt. Dies sei der "sicherste Zustand", heißt es beim Betreiber Energoatom. Was freilich relativ ist. Denn große Hitze entsteht im Inneren des Reaktors weiterhin, die sogenannte Nachzerfallswärme. Sie wird über Kühlwasser "abgeführt". Dadurch wird der Reaktor drucklos, das Risiko einer Kernschmelze ist gebannt. Das aber setzt voraus, dass die Kühlwasserpumpen rund um die Uhr laufen, und dafür brauchen sie Strom. Bisher erzeugte diesen Strom Reaktor Nummer sechs, er versorgte auch die Kühlkreisläufe der heruntergefahrenen Nachbarreaktoren. Weil die Verbindung zum Stromnetz unterbrochen ist, und weil ein nahe gelegenes Kohlekraftwerk außer Betrieb ist, erzeugen diesen Strom derzeit Notstromaggregate. Sie brauchen permanent Diesel und dürfen nicht schlappmachen. Vor allem in den ersten Wochen dieses "Kaltzustands" kann die Hitze schnell ansteigen, schwere Schäden am Reaktor bis hin zur teilweisen Kernschmelze wären die Folge. Das AKW, das lange so viel Strom erzeugte wie kein anderes in Europa, ist nun auf Strom angewiesen wie kein anderes. Erst nach Monaten ist ein Zustand erreicht, in dem die Kühlung auch mal einen Tag ausfallen darf.

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