Aktuelles Lexikon:Dirigentengeländer

Es schützt den Maestro vor Stürzen vom Podium - nicht aber das Publikum vor Aktionen von Klimaschützern.

Von Reinhard J. Brembeck

Manchmal, meistens ist dann die Musik entspannt, greift ein Dirigent mit der linken Hand hinter sich und findet Halt an dem Geländer, das in fast allen Konzertsälen der Welt sein Podium hin zum Publikum abtrennt. Dieses Geländer soll Schlimmstes verhindern, soll verhindern, dass die Dirigenten, es sind immer noch mehr Männer in diesem Beruf zu sehen als Frauen, im besinnungslos machenden Rausch der Musik vom je nach individuellen Bedarf mehrere Dezimeter hohen Podest nach hinten stürzen und sich dabei verletzen. Das Podium ist notwendig, damit alle 100 Orchestermusiker den Maestro gut sehen, es bedeutet aber auch ein Gesundheitsrisiko. Kurt Masur stürzte nach links weg (Hüftbruch), Bernard Haitink auf das Podest und Riccardo Muti nach vorn, da half ihnen kein Geländer. Aktivisten der "Letzten Generation" haben sich am Mittwochabend, und anders als die Dirigenten: dem Publikum zugewandt, aufs Podium der Hamburger Elbphilharmonie begeben, vor Beginn eines Konzerts. Sie haben sich bei ihrem Protest gegen die Klimasünden der Menschheit ans Dirigentengeländer geklebt und somit die individuelle Schutzfunktion des Gestänges ins Gesamtmenschliche erweitert. Die Aktion stieß nicht nur auf Gegenliebe, auch wenn in Hamburg , anders als bei ähnlichen Aktionen in Museen, die Musik selbst in keinem Moment gefährdet war. Sie ist ja immateriell.

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