Zeitungsmarkt:Berliner Lust

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Mit für ein Boulevardblatt ungewöhnlichen Titelseiten sucht Springers "B.Z." ihre Nische. Die neue Chefredakteurin möchte den Kurs ihres Vorgängers fortsetzen - obwohl die Auflage sinkt.

Von Jens Schneider

Es wäre ein schönes Rätsel für Kenner des Zeitungsmarktes: Wer war das? Welche Zeitung war so forsch, so hintersinnig, so witzig? Die für freche Überschriften bekannte taz? Da ist die Titelseite vom Dienstag mit einer großen 23, darunter steht rot: "Mehr verdienen Frauen nicht!" Die Unterzeile erklärt, dass zwar 69 Prozent der Mütter in Deutschland arbeiten, sie aber weniger als ein Viertel zum Familieneinkommen beitragen, nämlich 23 Prozent. Fast ein Bilderrätsel war eine Titelseite von Mitte Februar: Sie zeigte groß eine große Statue der Justitia, daneben stand: "Trumps härteste Gegnerin". Gerade war der US-Präsident zum dritten Mal von der Justiz ausgebremst worden.

Die Urheber der Spielereien sitzen einige Hundert Meter von der Redaktion der taz entfernt im Hochhaus des Axel Springer Verlags. Es ist das Boulevardblatt B.Z., das - 1877 gegründet - viele Jahre die stärkste Zeitung der Hauptstadt war. Die letzten Jahrzehnte erlebte es einen dramatischen Absturz, man versucht neue Wege. Jetzt hat Miriam Krekel die Chefredaktion übernommen, sie ist zugleich Bild-Redaktionsleiterin für Berlin und Brandenburg.

Die 39-Jährige erwartet in einigen Wochen ihr zweites Kind. In einer Woche beginnt der Mutterschutz, danach kann sie ihre Arbeitszeit flexibel gestalten. "Ich habe mich noch nicht festgelegt, weil Kinder unberechenbar sind", sagt Krekel. "Mein erster Sohn schlief nach zwei Wochen durch, andere schreien die ganze Nacht. Da schau ich, was mich erwartet, und entscheide dann, wie ich mich bei Familie und Redaktion am besten zeitlich organisieren kann."

Sie hört oft, von Männern und Frauen, was für ein wichtiges Zeichen es sei, dass der Verlag sie jetzt als Chefin einsetzte. Es gehöre auch Mut dazu, schrieb Krekel in einer Kolumne. Offenbar haben sich die Zeiten geändert. Nicht nur Boulevardblätter wurden einst oft von Kerlen geprägt, die Journalismus als einen 24-Stunden-Job mit vollem Körpereinsatz darstellten und sich gern an diesem Mythos wärmten. Krekel erzählt, dass sie noch vor gut sechs Jahren vereinzelt Sätze gesagt bekam wie: Kinder gehören aber doch zur Mutter. Damals leitete sie eine Redaktion und war mit ihrem ersten Sohn schwanger. So etwas habe sie jetzt gar nicht mehr erlebt, sagt sie.

Krekel hat einige Stationen bei der Bild-Zeitung hinter sich, zuletzt prägte sie mit dem bisherigen Chefredakteur Peter Huth als Stellvertreterin die B.Z.. "Was wir machen, ist eine neue Form von Boulevard", sagt Krekel. "Sie ist moderner, oft verspielter." Bei der Suche nach einem Titel wolle sie nicht einfach den Satz raushauen, den jeder erwarten würde. "Wir suchen den anderen Dreh, wollen eine zweite Ebene ansprechen." Das Blatt fällt durch einen spielerischen Stil auf, die Lust zu überraschen und aus dem Korsett des eindimensionalen Boulevards auszubrechen.

Ihre Ideen brachten Krekel und Huth schon viel Aufmerksamkeit. In sozialen Medien machten Titelzeilen der B.Z. Furore. Im vergangenen Oktober wurde sie bei den Lead Awards als "Zeitung des Jahres" ausgezeichnet. Das Blatt habe den Boulevardjournalismus neu definiert, indem es Breitenwirksamkeit, Ernsthaftigkeit und Anspruch verbinde, hieß es.

Es ist auch die Suche nach einer Antwort auf den Niedergang, der bei der B.Z. dramatischere Züge hatte als bei vielen anderen Blättern in der Zeitungskrise. Noch Ende der Neunzigerjahre kauften täglich mehr als 300 000 Berliner die B.Z. Auf weniger als ein Drittel sank die verkaufte Auflage, sie lag im letzten Quartal 2016 bei knapp mehr als 100 000. Im Kampf gegen den Niedergang hat die B.Z. bizarre Häutungen durchgemacht. Der heutige Bild-Krawall-Kolumnist Franz Josef Wagner führte das Blatt, später der stramm konservative Journalist Georg Gafron. Es half nicht. "Es mag sein, dass die B.Z. vor dreißig Jahren ganz anders auftrat", sagt Krekel. "Aber die Zeiten sind auch anders. Vor dreißig Jahren hätte man auch nicht eine schwangere Frau zur Chefredakteurin gemacht."

Miriam Krekel, 39, ist Chefredakteurin der B.Z. Außerdem leitet sie die Berlin/Brandenburg-Redaktion der Bild-Zeitung. (Foto: Stefanie Herbst)

Gelegentlich setzt ihre Zeitung auch auf eindimensionale Marktschreier-Schlagzeilen, wie man sie vom Schwesterblatt Bild erwartet, das gerade wieder sein Borderline-Verhältnis zu Fake News und Wahrheit nach peinlichen Pannen neu sortiert und verspricht, eine ehrliche Haut sein zu wollen. So wird auch bei der B.Z. schon mal deftig auf der ersten Seite von einem Kriminalfall berichtet, bei dem eine Mieterin vom Vermieter getötet wurde: "Ermordet, weil sie nicht ausziehen wollte".

Aber die Lust an Witz und Albernheiten prägt oft das Innere des Blattes, eine Berliner Insel mit Geruchsproblemen wird da schon mal zur "Kot d'Azur". Gern mutet man dem Leser mehr zu als Häppchen, etwa ein langes Interview mit US-Schriftsteller T.C. Boyle. Zur Berlinale empfahl das Blatt einzelne Filme als "Fotoroman", nicht etwa Blockbuster, sondern Arthaus-Filme. Wie ein Fremdkörper wirkt an solchen Tagen der erwartbar konservative Kolumnist Gunnar Schupelius , der sich mit dem täglichen "gerechten Zorn", so der Titel, gern an Roten und Grünen abarbeitet.

Krekels Vorgänger Huth, der seit Kurzem die Welt am Sonntag leitet, wird zuweilen als eine Art Kronzeuge für den neuen Boulevard dargestellt, er sieht dann auf die üblen Achtziger zurück, die eine düstere Zeit mit üblen Grenzüberschreitungen gewesen seien. "Die Redaktion will den liberalen Geist leben, der die B.Z. in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts ausmachte", sagt er. "Die Berliner haben eine spezifische Art von Humor, der mit Pfiff und Ironie angesprochen werden kann."

Ob der Weg Erfolg hat, lässt sich schwer an Zahlen messen. Auch zuletzt sank die Auflage, aber die Macher geben sich zuversichtlich. "Wir haben uns gut geschlagen", sagt Huth. "Der Berliner Zeitungsmarkt ist sehr schwierig. In keiner Stadt gibt es so viele Zeitungen wie in Berlin." Alle haben zu kämpfen. Seine Nachfolgerin sagt, dass an den Reaktionen abzulesen sei, "dass wir mit dieser neuen Art von Boulevard neue Leser generieren". Es gibt kein einfaches Erfolgsrezept, vor allem kein dauerhaftes von der schlichten Sorte. Auffällig gut verkauft sich zwar jede Schlagzeile zur Rente. "Aber wenn ich jetzt fünf Mal in der Woche das Wort Rente auf die Seite Eins schreibe, wird uns damit nicht geholfen sein", sagt Miriam Krekel. Es reiche heute nicht, so fällt ihrem Vorgänger Huth dazu ein, wie einst das Magazin Yps "immer wieder die Urzeitkrebse als Gimmick zu machen und damit auf Käufer zu hoffen". Die Redaktion solle jeden Tag was Neues aushecken.

© SZ vom 23.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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