"Vogue"-Jubiläum:Der Kanon der Schönheit

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Mit einer Ausstellung feiert die deutsche "Vogue" 40. Geburtstag. Eskapismus war immer ihr Geschäft. Die gesellschaftlichen Prozesse, aus denen Mode hervorgeht, hat sie aber nie aus den Augen verloren.

Von Tanja Rest

Die Welt im August 1979, dies zur Beruhigung, war auch kein besonders freundlicher Ort. Irans Armee wirft Bomben auf kurdische Städte, vietnamesische Flüchtlinge retten sich vor dem Hungertod auf die Cap Anamur, in San Francisco bebt die Erde, und die Sängerin Nina Hagen entfesselt einen Skandal, als sie im österreichischen Fernsehen vorführt, wie Selbstbefriedigung funktioniert. Mitten in diese Kalamitäten hinein platzt die Ankunft der deutschen Vogue . Auf dem Cover ein nie wieder zu Ruhm gekommenes Model namens Nina Klepp: Schalkragen des lila Mantels hochgeklappt, große Frisur, großes Make-up, pinke Schmolllippe - die Achtziger warten bereits in der Kulisse.

Damals und heute: das Oktober-Cover von 1979, daneben der Jubiläumstitel. (Foto: N/A)

Die Verheißung auf dem Titel war dreiteilig: "Neuer Stil. Neue Schönheit. Neues Make-up." Eine Einladung zur Teilhabe am süßen Luxus in einer prädigitalen Zeit, als die Pariser Schauen noch nicht via Livestream in die deutsche Provinz geliefert wurden, man noch nicht von Instagram überschwemmt wurde und mit einem einzigen Mausklick 1300 Euro für eine Bluse von Saint Laurent ausgeben konnte. Echte Teilhabe fand naturgemäß nicht statt - welche Frau hätte sich diesen neuen Stil schon leisten, und wo, vor allem, hätte sie ihn vorführen können? Aber für den Preis von acht Mark durfte sie sich blätternd hineinträumen in diese Hochglanzwelt, die prickelte wie ein Glas Champagner und in der schnödes Realitätsdenken nichts galt.

Eskapismus, das war schon immer das oberste Versprechen der Vogue, und sie erfüllt es in Deutschland zuverlässig seit 40 Jahren. Grund genug zu feiern, mit einer sehenswerten, klugen Ausstellung in der Münchner Villa Stuck (bis 12. Januar), die gleichzeitig zurück und nach vorne blickt. "Ist das Mode oder kann das weg!?", lautet, frei nach Joseph Beuys, der Titel. Das ist angenehm salopp und nicht ganz ungefährlich formuliert, denn man könnte jetzt ja auf die Idee kommen zu fragen, ob die Vogue im Zeitalter von Instagram noch die letzte Mode-Instanz ist oder ob die vielleicht auch weg kann. Doch dazu später.

Reportagen über das Russland der Perestroika genauso wie übers blutige Geschäft der Beauty-OPs

Zunächst zeigt der Blick auf bisher 576 Titelblätter: Ja sicher, es ist ein Modemagazin. Aber es ist auch ein Kanon all dessen, was der jeweilige Zeitgeist unter Schönheit verstand, in welche Ästhetik er sie kleidete, wo er die Frauen verortete (und diese sich selbst) und hinter welchen Göttinnen er sich gerade versammelte. Alle, alle waren in 40 Jahren dabei, von den versiertesten Bildkünstlern inszeniert: Die ganz junge und die gereifte Claudia Schiffer, Kate Moss mit ihrem trotzigen Lolitablick, die androgyne Nadja Auermann, später die Filmdiven, Musikerinnen und, im Februar 2019, der erste Coverboy: Bastian Schweinsteiger, mit seiner Frau Ana Ivanović. Diese Bilder, ein paar spektakulär schöne Couturekleider und ein Raum voller berührender Erinnerungen an Karl Lagerfeld sind der naheliegende Teil der Ausstellung. Aber ganz so leicht haben es sich die Kuratoren - Christiane Arp, Vogue-Chefin seit 16 Jahren, Museumsleiter Michael Buhrs und der Künstler Martin Fengel - dann doch nicht gemacht. "Es stimmt, wir sind auch Oberfläche", sagt Arp, "aber deshalb sind wir noch nicht oberflächlich."

Christiane Arp, Chefredakteurin seit 2003, hat die Ausstellung mitkuratiert. (Foto: Jeff Mangione/dpa)

Rückblickend ist es verblüffend zu sehen, wie regelmäßig die Vogue auch gesellschaftlich Stellung bezogen, den Blick geschärft, ästhetische Erwartungen unterlaufen hat. Da war, gleich am Anfang, eine Modestrecke von Helmut Newton vor der Kulisse des geteilten Berlins. Es gab glanzvolle Reportagen über das Russland der Perestroika genauso wie über das blutige Geschäft der Beauty-OPs. Nicht, dass die Vogue am Körperkult der Achtziger und dem Magerwahn der Neunziger nicht auch eifrig mitgewerkelt hätte; mitunter prangten auf ihren Seiten Gesichter und Körper, die so gephotoshopt waren, dass sie nichts Menschliches mehr hatten. Darum war es natürlich politisch, als einem vom Titel der Januarausgabe das ungeschminkte und unretuschierte Gesicht der Schlagersängerin Helene Fischer entgegenblickte, fotografiert vom großen Peter Lindbergh, der vor Kurzem mit 74 Jahren viel zu früh gestorben ist. Dieses Cover empörte sowohl Helene-Fans als auch die Gralshüterinnen der Couture. Allein dafür hat es sich gelohnt.

Die Vogue, so glatt und ehrfurchtgebietend sie einem auf den ersten Blick entgegentritt, geht nicht immer den einfachen Weg. In der Ausstellung etwa sind an einer Wand die Umweltsünden der globalen Textilindustrie in Zahlen aufgeführt, und es ist eine elend lange Liste. Nachhaltigkeit ist eben kein Trend, sondern die einzig denkbare Zukunft der Mode. Wer nicht glauben mag, dass seine Garderobe einmal aus dem 3-D-Drucker kommen, aus recycelten Plastikflaschen gefertigt oder mit Kristallen verziert sein könnte, die aus menschlichem Schweiß gewonnen wurden, wird in der Villa Stuck eines Besseren belehrt. Und wer immer mal erleben wollte, wie das ikonische Heft Gestalt annimmt: Die Redaktion shootet und editiert Teile der Dezemberausgabe tatsächlich im Museum.

Vogue erreicht in Deutschland immer noch eine Million Leser, sie hat aber in den vergangenen zehn Jahren deutlich an Auflage eingebüßt. Sie ist heute kein Titel mehr, sondern ein Kommunikationstool, zu dem auch die Website gehört, der Instagram-Auftritt, ein Podcast, ein Forum für junges deutsches Design und unzählige Events. Ganz im Sinne des angeschlagenen Verlags Condé Nast, der gerade Stellen kürzt und nach neuen Geschäftsfeldern sucht, besonders im Digitalen. Dort agiert längst aber nicht nur die klassische Konkurrenz, sondern auch eine ganze Stil-Armee von Influencern, Fashion-Bloggern und Instagram-Megastars. Kann die Vogue also weg?

Christiane Arp lächelt fein. Wer, wenn nicht Vogue, könne die schiere Masse von Mode filtern, das Unwesentliche aussortieren und die Substanz kuratieren? Und nicht zuletzt: "Es geht darum, der Flut schockierender Bilder, die auf uns einströmen, etwas entgegenzusetzen. Die Sehnsucht nach Schönheit wird nie vergehen." Wie sagte der legendäre Fotograf David Bailey: "When I die, I want to go to Vogue." Weiß Gott nicht der schlechteste Ort.

© SZ vom 11.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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