Vertrackte Machtstrukturen bei der WAZ:Wandel, fast ohne Veränderung

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Neue Eigentümerverhältnisse, neue Büros, Relaunch der Zeitung: Die WAZ hat offenbar vor, endlich ein richtiger Medienkonzern zu werden. Doch lähmender Streit scheint bei Deutschlands größtem Regionalzeitungskonzern nach wie vor nicht ausgeschlossen zu sein.

Bernd Dörries

Wenn man mit dem Zug in den Essener Hauptbahnhof einfährt, kann man auf der rechten Seite die Gebäude der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) sehen, die Druckereien und Redaktionsräume. Sie sind so verschachtelt wie die Eigentümerverhältnisse in Deutschlands größter Regionalzeitung es jahrelang waren. Und etwas Muffiges haben sie auch, diese Klötze, so wie die ganze WAZ-Gruppe, die gerne ein Medienkonzern wäre - oft aber einfach nur ein zerstrittener Haufen war, ein durch Anwälte und Berater institutionalisierter Familienkrach der Eigentümer-Clans.

Die WAZ will sich künftig besser aufstellen - lange schien Stillstand ein Wert zu sein. (Foto: ddp)

Am Anfang dieser Woche erreichte die Angestellten der WAZ ein Mitarbeiterbrief der Geschäftsführung, der auf Besserung hoffen lässt - was die Bürosituation angeht, aber vielleicht auch in dem, was Betriebswirtschaftler die Aufstellung des ganzen Verlags nennen. Die WAZ hat offenbar vor, ein richtiger Medienkonzern zu werden. In ein neues Gebäude werde man bald umziehen, kündigen die Geschäftsführer Christian Nienhaus und Bodo Hombach an. Vielleicht schon 2013, ein mögliches Grundstück am Berliner Platz hat man sich schon ausgeguckt.

Hombach wird beim Umzug nicht mehr dabei sein, er verhandelt gerade seine Vertragsauflösung. Der Familienstamm, der ihn bestellte, wird bald nichts mehr zu sagen haben, gibt seine Anteile ab, lässt sich fürstlich abfinden.

Kaufen will die Brost-Anteile die Familie von Petra Grotkamp, Tochter des WAZ-Mitgründers Jakob Funke. Seit dem Sommer zieht sich der Prozess des Besitzerwechsels hin, es werden fast so viele Gutachten gedruckt wie Zeitungen. Doch nun sollen die Verhandlungen endlich vor dem Abschluss stehen: Spätestens in sechs Wochen, Ende Januar also, soll die Familie Grotkamp für 470 Millionen Euro die Mehrheit an der WAZ bekommen.

Neue Eigentümerstruktur, neue Zentrale, auch ein Relaunch der WAZ steht dann 2012 an. Das klingt nach Aufbruch, klingt gut für ein Unternehmen, in dem Stillstand lange ein Wert zu sein schien. Dabei handelt es sich um Veränderungen in Entscheidungsstrukturen, die in der modernen, digitalen Medienwelt zum Alltag gehören. Die Erben haben sich von dem, was ihre Großeltern einst aufbauten, entfremdet. Sie stehen dem Geld näher als der Familientradition.

Die WAZ war lange das Medium des Ruhrgebiets, ein Monopolist der Meinung und am Kiosk. Zur Tradition des Hauses zählte auch die innige Feindschaft der Gründerstämme Brost und Funke, sozialdemokratisch die einen, konservativ die anderen.

Jede Seite setzte ihren eigenen Geschäftsführer ein, Simultanität nennt man das. Man musste sich einig sein - und war es selten. Die Clans wuchsen, es wurde gestorben, geheiratet und adoptiert. Innerhalb des Funke-Clans waren die Streitigkeiten irgendwann größer als die Abneigung gegen die Brosts. Klar war nur, dass viel Geld beim gemeinsamen Geschäft herauskommen sollte.

Das Geschäftliche bewerkstelligten unter diesen Bedingungen Leute wie Hombach, der die Entscheidungsstrukturen im Medienkonzern aus Essen einmal so beschrieb: "Ein Ja ist nur 50 Prozent wert. Ein Nein hundert." Es fand sich meistens jemand, der Nein sagte.

In Zeiten, in denen das Drucken von Zeitungen und Geldnoten sehr verwandte Branchen waren, war das noch kein Problem. Spätestens seit Auflagen sinken und Anzeigen schwinden, war allen bei der WAZ klar, dass es so nicht weiter gehen könne. Die Chance, etwas zu verändern, ergab sich durch den Tod von Anneliese Brost im Herbst 2010.

Wohl im Leben nicht hätte sie gedacht, dass ihre Erben einmal an den Feind verkaufen könnten. Vieles stand in ihrem Testament, das aber nicht. Dass man nichts den Funkes gibt, muss ihr eine Selbstverständlichkeit gewesen sein.

Nun wird es doch so weit kommen, denn es ist auch die Geschichte einer Entfremdung. Martin Brost, Sohn des Gründers, ist als Jugendlicher nach Indien gefahren, und als er wieder in Essen war, kam er in Hippiekostümierung auf die Sitzungen der Gesellschafter. Am Ende ließ er sich sein Erbe auszahlen, zog nach Bayern, wurde Bio-Bauer.

Seine drei Kinder, 13 bis 22 Jahre alt, wollen nun an Petra Grotkamp verkaufen. Der einst verstoßene Martin Brost mischt kräftig mit in den Verhandlungen, trifft sich mit anderen WAZ-Eigentümern zum Gespräch auf Fuerteventura. In der Essener Zentrale hat er bis heute Hausverbot.

Seit Monaten wird über die Übernahme der Brost-Anteile gefeilscht. Testamentsvollstrecker Peter Heinemann war in einer heiklen Situation. Er musste für die Erben den besten Preis herausholen, wohl wissend, dass der Verkauf nicht im Sinne der Verstorbenen war.

Heinemann setzte eine Klausel auf, die den Grotkamps untersagt, ihre Anteile zeitnah zu verkaufen - eine andere Klausel regelt die Gewinnbeteiligung der Erben, sollte das doch geschehen. Gutachten wurden in Auftrag gegeben, eine großzügige Springer-Offerte für die WAZ machte alles komplizierter. Am Ende schienen 470 Millionen allen ein fairer Preis zu sein.

Unterschrieben ist bis heute aber noch nichts, weil es für die Grotkamps doch nicht so einfach war, die Kaufsumme aufzubringen. Circa 270 Millionen Euro kommen aus dem eigenen Vermögen, der Rest soll über Banken finanziert werden. Mit der Euro-Krise wurden die Geldhäuser immer knausriger, verlangten Sicherheiten. Noch fehlen den Grotkamps 50 Millionen Euro.

Gerne hätten die Banker die WAZ-Anteile als Sicherheit, doch wegen einer Vinkulierung können die Grotkamps den Besitz nicht einbringen: Jeder Gesellschafter muss die Anteile zuerst den anderen anbieten, darf sie nicht beleihen. Diese Beschränkung wollen nun alle Gesellschafter aufheben.

Ende Januar, so glaubt man in Essen, sollen die Verträge unterzeichnet werden, dann wäre man das erste Mal unter sich im Funke-Clan. Vor ein paar Monaten noch hätten sich viele in der WAZ gefragt, ob das nicht alles noch viel schlimmer mache, so zerstritten waren die Funke-Nachkommen, hauptsächlich die Grotkamps zogen regelmäßig gegen den eigenen Clan vor Gericht.

Jetzt soll die Stimmung besser werden, woran vor allem die neuen Mehrheitseigentümer ein Interesse haben. Auf dem Papier besitzen sie knapp 67 Prozent der Anteile, zur Mehrheit in der Gesellschafterversammlung reicht das aber nicht: Die Grotkamps haben durch den Kauf der Brost-Anteile die eine Hälfte der Stimmen; in der anderen Eigentümer-Hälfte, der Funke-Familiengesellschaft, können sie aber von den Gesellschaftern Renate Schubries und Stephan Holthoff-Pförtner theoretisch überstimmt werden.

In gewisser Weise hat sich als so gar nicht so viel geändert, es sei denn, die Erben ändern sich bei der WAZ und legen ihren alten Streit tatsächlich bei.

© SZ vom 22.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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