USA:Eingerissene Mauern

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Die frühere "New York Times"-Chefredakteurin Jill Abramson hat ein Buch über US-Medienhäuser geschrieben. Es ist höchst umstritten - nicht nur, weil sie der Zeitung Parteilichkeit vorwirft.

Von Alan Cassidy

Peinlich? Sicher. Jill Abramsons Buch lag noch nicht einmal in den Buchhandlungen, da wurden im Netz schon Fehler und abgeschriebene Passagen breitgetreten, auf die andere Journalisten gestoßen waren. Es waren einige. Dass ein Werk über den Zustand des amerikanischen Journalismus mit handwerklichen Mängeln behaftet ist, mutet mindestens ironisch an. Das heißt allerdings nicht, dass Abramson nicht eine lesenswerte Analyse vorgelegt hätte. "Merchants of Truth" heißt das vor einigen Wochen erschienene Buch, auf Deutsch: Händler der Wahrheit, und es behandelt die Entwicklung der US-Medienbranche im vergangenen Jahrzehnt, vom Ausbruch der Finanzkrise bis heute - eine Zeit des Wandels, der für die meisten Medienhäuser zum wirtschaftlichen Überlebenskampf geworden ist.

Es gibt nicht viele Autoren, die für ein solches Unterfangen besser geeignet wären als Abramson. Eine glänzende Karriere als Printjournalistin führte sie über eine Korrespondentenstelle beim Wall Street Journal in Washington zur New York Times, wo sie 2011 zur Chefredakteurin aufstieg, als erste Frau überhaupt. Bei der Times war sie damit befasst, den Umbau des Traditionshauses in eine digital ausgerichtete Medienorganisation voranzutreiben. Ihr Abgang bei der Zeitung, deren ikonenhaftes T sich Abramson sogar als Tattoo stechen ließ, lief unschön ab. Er hatte auch zur Folge, dass Abramson die vergangenen Jahre ihrem Buch widmete.

Darin zeichnet sie die Porträts von vier Medienorganisationen: auf der einen Seite die New York Times und die Washington Post, auf der anderen Seite die Plattformen Buzzfeed und Vice News als digitale Start-ups. Abramson knüpft an eine Untersuchung des Pulitzer-Preisträgers David Halberstam an, der 1979 in "The Powers That Be" vier Medienhäuser beleuchtet hatte, die damals im Zenit ihres Einflusses und ihrer wirtschaftlichen Stärke standen. Abramsons Darstellung liest sich düsterer. Die Branche habe journalistische Kriterien kommerziellen Interessen untergeordnet, die einst heilige Trennmauer zwischen Redaktion und Management - zwischen "Kirche und Staat", wie sie es nennt - sei eingerissen: Das ist der Befund, zu dem sie immer wieder zurückkehrt.

Das gilt für Buzzfeed und Vice News, denen Abramson über weite Strecken mit wenig Sympathie begegnet, angefangen dort, wo sie sich über die Frisuren und die mangelnde Erfahrung der Journalisten auslässt, die dort arbeiten. Bei Buzzfeed prägte Gründer Jonah Peretti das Konzept der "ansteckenden Medien", Inhalten also, die durch rasend schnelle Verbreitung im Netz viral gingen. Man setzte schon bald auf Native Advertising - Werbung, die sich in der Aufmachung nicht von den redaktionellen Beiträgen unterscheidet. Die Konsumenten von Buzzfeed seien "keine journalistischen Puristen" gewesen, schreibt Abramson: "Sie bemerkten keinen Unterschied."

Abramsons Befund gilt aber auch für die Washington Post und die New York Times, die sich nach der Finanzkrise am wirtschaftlichen Abgrund befanden. Bei der Times debattierte das Management zwischenzeitlich darüber, das alte Motto der Zeitung ("All the News That's Fit To Print") von der Titelseite zu entfernen, um Platz für Anzeigen zu schaffen. Als Abramson als Chefredakteurin übernahm, war der Alltag in der Redaktion zunehmend geprägt vom Konflikt zwischen Zeitungsmachern und Werbeleuten. Die beklagten, dass die Journalisten von der wirtschaftlichen Realität abgeschirmt würden "wie verzogene Kinder". So weigerte sich die Redaktion, Konferenzen und Reisen für Leser durchzuführen, um Einnahmen zu generieren. Zuvorderst weigerte sich Abramson.

Sie schildert eine von vielen Auseinandersetzungen mit Mark Thompson, dem CEO, den Verleger Arthur Gregg Sulzberger von der BBC geholt hatte. Er verlangte von ihr Ideen aus der Redaktion für kostenpflichtige Apps. "Wenn es das ist, was ihr von mir erwartet, habt ihr die falsche Chefredakteurin", antwortete sie. Die Zeitung könne es sich nicht leisten, dass ihre Journalisten ihre Zeit in Sitzungen mit Produktmanagern verschwendeten. Es waren diese Haltung, eine gewisse Ruppigkeit im Umgang mit Mitarbeitern sowie die Tatsache, dass sie nach eigener Aussage eine "nicht eben herausragende Managerin" war, die 2014 zu ihrer Entlassung führten, die sie ausführlich beschreibt - nicht ohne darauf hinzuweisen, dass für sie als Frau andere Maßstäbe gegolten hätten als für ihre männlichen Konkurrenten.

Auch an anderer Stelle schont sie ihren früheren Arbeitgeber nicht. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2016 habe die Times zu viel Zeit auf die E-Mail-Affäre von Hillary Clinton verwendet. Umgekehrt lasse sich seit Donald Trumps Wahl nicht nur auf den Meinungsseiten, sondern auch in den nachrichtlichen Beiträgen der Times ein Anti-Trump-Einschlag nicht leugnen - eine Feststellung, die der Präsident dankbar vertwitterte. Für den Journalismus sei Trump in mancher Hinsicht ein Gewinn, schreibt Abramson, wobei sie sich dabei vor allem auf die Times und die Post bezieht, deren Wettkampf um die besten Scoops beide besser mache - und ihnen zahlende Abonnenten einbringe. Wenige Worte verliert sie über all jene Lokalzeitungen, die eingestellt wurden oder kurz davor stehen.

Die meisten Schlagzeilen löste das Buch mit Fehlleistungen aus, die ihr selbst unterlaufen sind. So twitterte eine Reporterin von Vice News, dass ein Absatz über sie im Buch sechs Fehler enthalte. Mehrere andere Journalisten entdeckten im Buch Passagen, die Abramson Wort für Wort aus anderen Publikationen abgeschrieben hatte. Einige faktische Fehler in der Druckfahne wurden vom Verlag noch korrigiert, doch was den Vorwurf der Plagiate betrifft, gab sich Abramson zunächst stur. "Ich würde niemals bewusst die Urheberschaft für etwas beanspruchen, das ein anderer geschrieben hat", sagte sie CNN. Auf Twitter räumte sie dann ein, dass einige Abschnitte sprachlich zu nah an der Arbeit anderer Autoren seien und als Zitate hätten deklariert werden müssen - sie werde das jetzt ändern. Peinlich bleibt es trotzdem.

© SZ vom 14.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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