Die erste Anzeige steht auf der Titelseite ganz oben. Sie wirbt für eine Bank. Die nächsten zwei Anzeigen finden sich auf Seite 2, für einen Uhrmacher und eine Klamottenkette. Auf Seite 3 sind es schon fünf Anzeigen. Und so geht es weiter durch die ganze Zeitung, kaum eine Seite hat keine Werbung. Man könnte meinen, dem Wall Street Journal gehe es gut.
Doch wer die New Yorker Wirtschaftszeitung seit Längerem abonniert hat, weiß, dass die Annoncen weniger geworden sind. Früher war das Journal dick und schwer wie ein Backstein und die Artikel waren zwischen all der Werbung für Luxusgüter kaum zu finden. Das Schrumpfen geschah langsam und stetig, selbst die im Vergleich wohlhabenden Leser und all die Firmenabonnenten schützten das Blatt nicht. An diesem Montag gab es deshalb einen Einschnitt, den Print-Abonnenten sofort bemerken: Die Zeitung ist dünner geworden. Chefredakteur Gerard Baker hat die Wirtschaftsteile "Business & Tech" und "Money & Investing" unter einer Rubrik verschmolzen. Der New-York-Teil schrumpft auf nur noch zwei Seiten im ersten Teil der Zeitung. Auch für Kunst und Kultur ist weniger Platz. "Alle Zeitungen stehen vor strukturellen Herausforderungen, und wir müssen uns bewegen, um eine Print-Ausgabe zu schaffen, die für die absehbare Zukunft auf soliden finanziellen Füßen steht", schrieb Baker in einer Mitteilung an seine Mitarbeiter. Die digitale Ausgabe solle derweil weiter wachsen.
Das 1889 gegründete Blatt gehört nicht nur zu den ältesten, sondern auch zu den erfolgreichsten Zeitungen des Landes. Es hat 39 Pulitzerpreise gewonnen. Nach Auflage ist es Amerikas zweitgrößte Zeitung nach der USA Today. Das Wall Street Journal hat etwa 1,4 Millionen Print-Abonnenten. Im Netz sind es derzeit eine Million zahlende Leser, Tendenz steigend.
Die Zeitung hat dafür gesorgt, dass Artikel und Grafiken auf Smartphones besser aussehen
Allerdings ist im vergangenen Quartal der ohnehin schrumpfende Anzeigenumsatz noch einmal stark eingebrochen - um 21 Prozent. Digitale Produkte, vor allem Website und App, machen jetzt 55 Prozent des Umsatzes aus, mehr als je zuvor. Aber das reicht noch nicht. News Corp, der Verlag, dem das Verlagshaus Dow Jones und damit auch das Journal gehört, schrieb in dem Quartal 15 Millionen Dollar Verlust.
In einer Zeit, in der das Misstrauen gegen die Presse gewachsen ist und unabhängiger Journalismus in den USA so wichtig ist wie seit Langem nicht mehr, leiden die großen Zeitungen im Land. In diesem Jahr werden Werbekunden in den USA elf Prozent weniger Geld für Zeitungsanzeigen ausgeben als im Vorjahr, insgesamt etwa 12,5 Milliarden Dollar, prognostiziert die Mediaagentur Interpublic. Es wäre der größte Rückgang seit der Rezession im Jahr 2009. Mehrere große Zeitungen mussten bereits Mitarbeiter entlassen.
Auch das Wall Street Journal. Anfang des Monats sind alle Mitarbeiter im Lokalteil für den Großraum New York entlassen worden, teilte die Gewerkschaft Independent Association of Publishers' Employees (IAPE) mit. Für einige gibt es Jobs in anderen Ressorts, sie müssen sich neu auf die Stellen bewerben. Die Journal-Mutterfirma Dow Jones hatte im Oktober einen Sparplan verkündet und den Mitarbeitern angeboten, gegen eine Abfindung freiwillig zu gehen. Insgesamt haben laut IAPE 450 Gewerkschaftsmitglieder das Angebot bekommen, 48 nahmen es an. Inzwischen ist die Deadline für die Offerte abgelaufen. Dow Jones macht keine Angaben, wie viele Mitarbeiter insgesamt freiwillig gehen.
Das erste Buch ist nun 22 Seiten dick und besteht aus allem, was nicht unmittelbar Unternehmensberichte oder Finanznachrichten sind: Politik, Kommentare, der Kulturteil "Life & Arts", Sport, New Yorker Lokalnachrichten. Das zweite Buch heißt "Business & Finance" und hat 14 Seiten. Montags kommt noch ein Sonderteil hinzu, der sich diesmal auf acht Seiten der Energiewirtschaft widmet. Vor zehn Jahren, als die Zeitung noch gut acht Zentimeter breiter war und damit pro Seite Platz für eine ganze Spalte mehr Text hatte, war sie im Schnitt 54 Seiten dick. "Ich möchte betonen, dass diese Änderungen und ihre Auswirkungen in der Redaktion nicht nur notwendig sind, weil wir uns den veränderten Bedingungen im Print-Anzeigengeschäft anpassen müssen, sondern auch weil wir von Publikumsanalysen wissen, dass die Leser eine leichter verdauliche Zeitung wollen", schrieb Chefredakteur Baker in der internen Mitteilung. Sein Ziel: "So kurz und klar wie möglich."
Was die Leserschaft angeht, sind die Nachrichten gut. Als Will Lewis 2014 Verlagschef wurde, setzte er das Ziel, innerhalb von drei Jahren drei Millionen Abonnenten zu erreichen mit dem Journal, dem Wirtschaftsmagazin Barron's und der Londoner Financial News. Das Ziel soll im kommenden Sommer tatsächlich erreicht werden, glaubt Baker. Das liegt vor allem an den guten Wachstumszahlen der Online-Leser, besonders derjenigen, die die Zeitung auf ihren Mobilgeräten lesen. Das Journal hat in Apps investiert und dafür gesorgt, dass Artikel und Grafiken auf Smartphones besser aussehen. Noch in diesem Jahr soll die Zahl der Internet-Abonnenten die der Print-Abonnenten übersteigen - und das liegt am Wachstum im Netz, nicht am Schrumpfen der Papierausgabe.
Baker hat für die Digitalausgabe den Zukunftsplan "WSJ2020" aufgestellt. Einer der Vorteile sei, dass er im Internet genau wisse, was die Leser interessiert und für welche Artikel sie bereit sind zu bezahlen, sagte der Chefredakteur. Künftig will er die etwa 1500 Journalisten seiner Redaktion besonders auf diese Themen ansetzen.