Sex von gestern:Die nackte Klamotte

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Durchs Schlüsselloch sehen die Jungs den Mädchen beim Umziehen zu. Die Statistinnen wussten vor dem Dreh nicht, dass sie halbnackt auftreten sollten. (Foto: NDR/Studio Hamburg)

Dokumentarfilmer Eric Friedler erzählt die erstaunliche Geschichte des Kinoerfolgs von "Eis am Stiel" und seiner Darsteller, die bis heute mit dem Image aus dem Film leben.

Von Martin Wittmann

Wenig überraschend behandelt eine Dokumentation über einen Überraschungserfolg das Thema Überraschung. Denn natürlich hatten die Mitwirkenden von Eis am Stiel beim Dreh noch nicht ahnen können, dass sie später auf Welttournee gehen sollten; dass der Film zwischen seriösen Meisterwerken auf der Berlinale laufen würde; und dass eine Komödie mit Rock'n'Roll-Soundtrack 1978 gar für einen Golden Globe nominiert werden würde, als bester ausländischer Film.

Dass dieses Ausland, das eine so klammottenarme Klamotte hervorbrachte, ausgerechnet Israel war, verblüffte wiederum das Publikum - nicht zuletzt das israelische. Die Welt staunte über so viel unerwartete Leichtigkeit, die Heimat schüttelte sich ob der gebrochenen Tabus. Der Mutter von Boaz Davidson, dem Regisseur des Spielfilms, wurde vor die Füße gespuckt, ihr Sohn musste sich fragen lassen: "Wozu all die Ärsche und Titten?" Seine Antwort hätte lauten können: für Millionen von Zuschauern.

40 Jahre später blickt Dokumentarfilmer Eric Friedler zurück auf den Hype, in der NDR-Produktion Eskimo Limon - Eis am Stiel. Von Siegern und Verlierern oder Die bittersüße Geschichte einer unendlichen Filmproduktion. Der ausführliche Titel zählt die abzuhandelnden Sujets des Films auf, wohl unbewusst mit aufsteigender Brisanz. Das Banalste vorweg: Eskimo Limon lautet der hebräische Originaltitel von Eis am Stiel.

Die ersten Worte in der Dokumentation spricht Davidson, es fällt das Schlagwort "Titanic"; er meint jedoch nicht den Blockbuster, sondern tatsächlich das Schiff. Die populär gewordene Katastrophenbesatzung seines Films bestand demnach aus drei Jungs: Momo, der Frauenheld, gespielt von dem in Wirklichkeit homosexuellen Jonathan Sagall (er wollte nicht Teil der Doku sein); Benny, gespielt von Yftach Katzur, der heute Geschäftsmann ist und kritisch zurückblickt; und natürlich Johnny, damals wie heute schwerverkörpert von Zachi Noy.

Zachi Noy tritt bis heute in der Rolle als "dicker Johnny" in Diskotheken auf

Der hat sich in Eis am Stiel und in sieben Fortsetzungen als "dicker Johnny" durch immer dünner werdende Geschichten klamaukt, bis heute tritt er in der Rolle in schäbigen Discos auf. Mit an Realitätsverlust grenzendem Optimismus spricht der 64 Jahre alte Schauspieler davon, weiter auf eine zweite Karriere zu hoffen; auf einen abermaligen Durchbruch, der seine Paraderolle glatt vergessen mache.

Zachi Noy kommt nicht mit der Reduzierung auf diesen einen Part zurecht, ein Luxusproblem verglichen mit Sibylle Rauch, die mutmaßlich unabhängig von ihrer damaligen Rolle am Leben scheitert.

1981 stieg die Münchnerin im dritten Teil in die Reihe ein und machte danach die Albtraumkarriere eines Playmates: Softsexfilme, OP-Wahn, Pornos, Kokain, Puff. Heute, mit 57, zeigt sie Friedler im Korsett und beim Anziehen von Nuttenstiefeln, und ein klein wenig führt er sie dabei auch vor. Die Dokumentation gefällt sich selbst, sie ist lang und zuweilen auch langsam. Doch dem Film hilft, dass er zur rechten Zeit kommt. Denn bedrückender noch als die heutigen Schicksale der Protagonisten sind die Schilderungen der damals gängigen Produktionsbedingungen. Die Erinnerungen an den Arbeitsalltag und dessen Neubewertung fügen sich in die gegenwärtige "Me Too"-Bewegung ein.

Wie Tami Mor, die Kostümbildnerin, da beschämt erzählt, sich am Set ausgezogen zu haben - um die sich zierenden Mädchen von der Harmlosigkeit der Oben-ohne-Szenen zu überzeugen, auf Drängen des Regisseurs; wie sich Davidson selbst dafür entschuldigt, eine seriöse Schauspielerin zu Sexszenen gedrängt zu haben, ein Schritt, von dem sich ihr Ruf und ihre Karriere nie mehr erholen sollte; wie Katzur zugibt, dass er wegen der Gage mitmachte, obwohl er den Humor schon damals als herabwürdigend erachtete und manche Liebesszenen "eher fast wie Vergewaltigungen" auf ihn wirkten. "Aber beim großen Publikum kam das gut an. Wie eine Art Leitbild."

Die wahre Leistung von Eskimo Limon - Eis am Stiel ist nicht, das damals Überraschende zu zeigen - sondern das damals Normale.

E skimo Limon - Eis am Stiel. Von Siegern und Verlierern oder Die bittersüße Geschichte einer unendlichen Filmproduktion , Das Erste, Sonntag, 23.35 Uhr.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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