September-Issue:Mächtig

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Die amerikanische "Vogue" hat ihre wichtigste Ausgabe des Jahres diesmal ganz in die Hände von Beyoncé gegeben. Mit Gewinn. Denn Beyoncé verkörpert Werte - und lenkte den Blick schon im Vorfeld hinter die Kulissen.

Von Tanja Rest

Zunächst alle mal tief durchatmen und Entwarnung: Es ist nur halb so wild. Nachdem in den vergangenen Wochen das Gerücht durchs Netz gerast war, Beyoncé habe "nie zuvor da gewesene Kontrolle" über das Cover, ihr eigenes Feature und irgendwie auch den Rest der US-September- Vogue erhalten, nachdem diese Nachricht exakt die hysterische, nach Luft schnappende Euphorie hervorgerufen hatte, zu der wirklich nur die Mode fähig ist, nachdem dieses eine Mal alles möglich schien, wer weiß, vielleicht sogar die Revolution in Gestalt anderer Formate, einer rockigeren Optik und nicht flächendeckend polierter Inhalte, nach alldem muss man sagen: Es ist verblüffenderweise nur ein Heft.

Jawohl, Beyoncé hat zum ersten Mal seit Jahren geruht, mit einer Journalistin zu sprechen. Was sie eigentlich nicht mehr nötig hat, sie ist längst ihr eigenes Marketingtool. Die Interviewerin hat brav aufgezeichnet, was Beyoncé zu sagen hatte, und daraus ein Gedankenprotokoll angefertigt, schließlich: "Wer könnte besser über Beyoncé schreiben als Beyoncé?" (Anna Wintour). Und ja, selbstverständlich ist sie auch auf dem Cover (wie übrigens schon 2009, 2013 und 2015), beziehungsweise: Sie ist auf beiden Covern. So macht man das heute, wenn man am Kiosk Außerordentliches suggerieren will - und dann ist ja auch nicht auszuschließen, dass ein Teil der gläubigen Gemeinde die vier Dollar gleich zwei Mal in die Hand nimmt.

Beachtlicher ist schon, dass Beyoncé erreicht hat, dass zum ersten Mal in der 126-jährigen Geschichte des Magazins ein schwarzer Fotograf das Titelbild gemacht hat: der erst 23-jährige Tyler Mitchell. Die Personalie hat im Vorfeld den Blick darauf gelenkt, dass es mit der ethnischen Vielfalt bei Vogue, vor und hinter den Kulissen, nicht immer zum Besten bestellt ist. Nun also die Wiedergutmachung. Die Redaktion stellt sich volle Breitseite und höchst geschickt hinter die von Beyoncé verkörperten Werte: Black Power, Frauenrechte, Akzeptanz. Dass die Sängerin sechsmal mehr Instagram-Follower hat als man selbst, schadet natürlich auch nicht. Überhaupt konnte der Eindruck entstehen, die Welt da draußen verorte die Autorität inzwischen eher bei Beyoncé als bei Vogue - das sollte den Herrschaften im 1 World Trade Center allerdings zu denken geben.

Nach Haltung sucht man in der "Vogue" im 30. Jahr von Anna Wintour oft vergeblich

Dass schon Tage vor Erscheinungstermin ein sechsminütiges Filmchen auf Youtube erschien, in dem eine anonyme Hand das Heft Seite für Seite durchblätterte, war natürlich ein kleines bisschen albern. Aber eben auch nicht ganz. Wenn die US-Ausgabe die mit Abstand wichtigste aller Vogues ist, dann ist die September-Nummer (Genießer sagen: "die September-Issue") das mit Abstand wichtigste und meistverkaufte Heft des Jahres. Der Start in die Herbstsaison bringt seit jeher auch die teuren neuen Kampagnen und scheinbar grenzenlose Anzeigenbudgets. Nahezu alle großen Modehäuser und Kosmetikriesen buchen bei den Amerikanern nicht unter drei Doppelseiten; diesmal sollen es laut Condé Nast sogar 30 Anzeigenkunden mehr gewesen sein, der Umsatz liege zehn Prozent über Soll. Wer weiß, dass eine einzelne Seite bis zu 208 000 Dollar kostet und das Heft zu rund zwei Dritteln aus Werbung besteht, kann das ungefähr hochrechnen.

Eine mächtige schwarze Frau in einer Welt der Weißen: Beyoncé verkörpert Werte - Black Power, Frauenrechte, Akzeptanz. Sie hat sechs Mal mehr Instagram-Follower als die Vogue. (Foto: Vogue)

Zum anhaltenden Ruhm der Ausgabe hat natürlich auch der Dokumentarfilm The September Issue aus dem Jahr 2009 beigetragen. Der Regisseur R. J. Cutler wollte darin eigentlich der Chefredakteurin Anna Wintour ein Denkmal setzen, schwenkte auf halbem Weg aber um, weil ihm die damalige Kreativchefin Grace Coddington - wer hätte es vermutet - so viel offener, emotionaler, ja, wie ein Mensch vorkam. Nebenbei bekam man mit, welch galoppierender Aufwand getrieben wird, um diesen bruchlosen Hochglanzlook herzustellen. Da turnte der Fotograf Mario Testino mit der britischen Schauspielerin Sienna Miller tagelang durch Rom, um sich in New York von Wintour sagen zu lassen, Millers Haar sei "leider leblos". Er möge ihr eine Perücke aufsetzen und wieder von vorne beginnen.

Mario Testino wurde im Januar bis auf Weiteres auf Eis gelegt, ebenso die beiden anderen Hausfotografen Bruce Weber und Patrick Demarchelier. Allen dreien wird sexuelle Belästigung vorgeworfen. Nimmt man die (inzwischen widerlegten) Rücktrittsgerüchte um Anna Wintour noch hinzu, war es kein leichtes Jahr für Vogue.

Nun aber: die September-Issue 2018. Sie ist mit 648 Seiten obszön dick, aber dann auch wieder nicht so obszön dick wie in früheren Jahren. 2007, mit der Perücken-Sienna auf dem Cover, hatte das Heft 840 Seiten, die Rekordausgabe mit Lady Gaga brachte es 2012 sogar auf 916 Seiten, mehr als der Otto-Katalog und damit fast schon ordinär.

Tylers Titelbilder von Beyoncé? Sie sind sehr ästhetisch und erstaunlich pur, bleiben aber streng im Zeichensystem der Marke: eine flirrend schöne Frau, mal im weißen Rüschenkleid von Gucci mit opulenter Blumenhaube, mal auf der grünen Wiese in rieselnd bunten Volants von Alexander McQueen. Dann blättert man sehr viele Anzeigenseiten um, gespickt mit den gefragtesten Gesichtern der Saison - Kate Moss räkelt sich für Saint Laurent im Meer, Elle Fanning beißt für Tiffany in Diamanten, bei Ralph Lauren fläzt Jessica Chastain mit offenem Hemd im Sessel und schaut jungsmäßig - bis auf Seite 138 endlich der erste Teil des Editorials erreicht ist. Bis zum zweiten Teil folgen noch mal 55 Anzeigenseiten. An diesem Punkt ist einem vor lauter Luxus und sexy aufgeworfenen Lippen ein klein wenig übel.

Es ist Anna Wintours dreißigste September-Nummer. Condé Nasts CEO Bob Sauerberg hat ihr gerade bescheinigt, sie bleibe "auf unbegrenzte Zeit" Chefredakteurin, im Prinzip kann sie sich nur noch selbst rausschmeißen. Eine Schreiberin war sie nie; die Kunst aber, alles anzudeuten und nichts auszusprechen, hat sie in ihren Editorials perfektioniert. Diesmal klingt das so: "Nach all der Zeit, in der ich Vogue gemacht habe, ist diese Periode ganz anders als jede zuvor, mit gutem Grund: Wenn die Mode radikal anders ist, dann, weil die Welt so radikal anders ist." Das würde in einem seltenen Akt der Einigkeit auch die Trump-Administration unterschreiben.

Da hat der Beitrag von Beyoncé schon mehr Format, wenn sie auch nur auf ihre eigenen Fragen geantwortet hat. Es ist ein warmes, kraftvolles Bekenntnis zu ihrem durch die Schwangerschaft veränderten Körper, der Rolle als Mutter und ihrer Verantwortung als mächtige schwarze Frau in einer Welt der Weißen, von dem man sich wünschen würde, dass es bei Vogue nicht nur als Alibistück zwischen die Modestrecken gedruckt, sondern tatsächlich auch gelesen wird. Bei den People-Redaktionen ist außerdem gut angekommen, dass im Begleitvideo auf Vogue.com alle drei Beyoncé-Kinder durchs Bild hüpfen. Im Heft folgt dann ein überfälliges Plädoyer dafür, das Mindestalter von Models auf 18 Jahre zu heben; die übrigen redaktionellen Beiträge sind teilweise recht hübsch, aber weitgehend beliebig.

Was die US-Vogue immer noch besser kann als jedes andere Magazin (auch durch ihren exklusiven Zugriff auf wirklich jedes vorhandene Laufstegteil und den dazugehörigen Designer): aus zigtausend Looks die paar Hundert Stücke herauszudestillieren, die in der kommenden Saison wirklich relevant sein werden. Wenn es außerdem darum geht, ein Versace-Kleid, das ausschließlich aus goldenen und lilafarbenen Perlschnüren gefertigt ist, so zu inszenieren, dass es mit der dahinterliegenden Spätsommerlandschaft verschmilzt, gibt es wohl kein berufeneres Team als dieses. Nach Haltung aber - gerade dort, wo sie mal unbequem wird -, nach überraschenden Inhalten und einer Bildsprache, die den ewigen Hochglanz trans-zendiert, sucht man im 30. Jahr von Anna Wintour vergeblich.

Weshalb das Fazit also lautet: Zwei Stunden geblättert und mit den Augen geschmaust, nahezu alles wieder vergessen, aber einen dicken Türstopper übrig behalten. Und die Herbstmäntel natürlich, die werden halt doch wieder sehr schön ...

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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