Rhetorik:Bravo Wort

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Die spanische Revolutionärin Dolores Ibárruri gilt als Urheberin des berühmten Spruchs "¡No pasarán!". (Foto: AFP)

Arte und Deutschlandfunk erinnern mit einem trimedialen Schwerpunkt an große politische Reden. Zu Wort kommen unter anderem Obama, Churchill, Thatcher und der Papst.

Von Cornelius Pollmer

Die Rede ist ins Gerede gekommen, daran besteht kein Zweifel. Nach der Inauguration des gegenwärtigen US-Präsidenten etwa ist es wieder Mode geworden, Handtrockner auf öffentlichen Toiletten mit einem Spruch zu bekleben: "Press button for a short speech from the President!" Dass in langen Reden auch davor nicht immer viel gesagt worden war, dokumentiert ein angebliches Zitat von Groucho Marx, ein nach wie vor genießbares Satzleckerli für Freunde abgründiger Rhetorik: "Before I speak, I have something important to say."

In Deutschland wiederum scheint es so, dass Eloquenz in der Politik zwar von Volk und Akteuren ersehnt wird. Wenn dann aber wirklich mal jemand reden kann, so wie die Rhetoriker, denen Arte und Deutschlandfunk in diesen Tagen einen Schwerpunkt widmen, gilt er oder sie gleich wieder als verdächtig, siehe Toilette, siehe Handtrockner. Die sicherste Variante bleibt es für Redner deswegen, auf alles potenziell Gewaltige, Schöne, Inspirierende einer Rede zu verzichten und nur den Höflichkeitsmüll vorzutragen, der danach übrig bleibt. Das nennt man dann Grußwort.

"Trimedial" bedeutet leider auch in diesem Fall: Keiner versteht, was wann wo zu finden ist

Das Argument hingegen, in Zeiten maßgeschneiderter Digitalkommunikation sowie stubenfliegenkurzer Spannen von Aufmerksamkeit brauche es keine großen Reden mehr, ist veritabler Unfug. Heute verlinken junge Menschen noch immer fleißig Youtube-Videos mit Reden Gregor Gysis im Deutschen Bundestag, einige davon wurden mehr als eine Million Mal geklickt. Und die fast kollektive Begeisterung für Barack Obama wurde wesentlich genährt von dessen unbestreitbarem rhetorischen Ausnahmetalent. Oft redete Obama nicht nur, er erzählte, in klugen Kompositionen, in denen sich kleine Begebenheiten wie selbstverständlich verbanden mit der Geschichte seines Lebens und der seines Landes.

Überlegungen, warum Obama dies tat und welche rhetorische Entwicklung er dabei durchlief, sind Teil des Schwerpunkts Große Reden von Deutschlandfunk und Arte. Zu Worten kommen auch Churchill und der Papst, Thatcher und die spanische Revolutionärin Dolores Ibárruri, vermutliche Urheberin des heute globalerfolgreichen Demo-Einzeilers ¡No Pasarán!. Zu sehen und zu hören sind ebensolche großen Reden, eingeordnet werden sie unter anderem von einem Forscher der apart etikettierten Disziplin der Politolinguistik.

Dass bei dem Projekt ein Fokus auf Europa liegt, ist nachweislich kein Zufall, vielmehr ein Hinweis darauf, dass gerade in wackeligen Zeiten von großen Reden auch große Kraft ausgehen kann und dies nicht im manipulativ Schlechten. Dass der Schwerpunkt ein "trimedialer" ist, bedeutet leider auch in diesem Fall, dass kein normaler Mensch mehr durchsehen kann, wo genau was zu finden war, ist, gewesen sein wird. Womöglich braucht es da mal einen monomedialen Schwerpunkt zum Thema Trimedialität.

Sendetermine und Videos: arte.tv/grosse-reden; www.deutschlandfunk.de/grosse-reden .

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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