Rezension:Kalte Heimat

Lesezeit: 3 min

In "Teufelsmoor" wird eine Frau bei der Rückkehr in ihr Elternhaus von der Vergangenheit eingeholt. Vor lauter Nebenhandlungen gerät zunehmend in Vergessenheit, dass der Film ein Psychothriller sein soll.

Von Viola Schenz

Mit Erinnerungen ist das so eine Sache. Menschen behalten ein und dasselbe Ereignis durchaus unterschiedlich im Gedächtnis, je nachdem welche Emotionen sie damit verknüpfen oder was sich gleichzeitig zugetragen hat. Auf Familientreffen mag das ganz amüsant sein, wenn Großmutter, Cousin und Tante ihre Version jener gemeinsamen Weihnachtsfeier anno 1980 wiedergeben.

Dass individuelle Erinnerungen auch etwas Unheimliches haben können, darum geht es in dem ARD-Drama Teufelsmoor. Ihr Vater ist gestorben, und Inga Hauck (überzeugend gespielt von Silke Bodenbender) fährt mit ihrem sechs Jahre alten Sohn Max in ihr Heimatdorf. Im Elternhaus trifft sie auf ihre Ziehschwester Anna Kertesz: Ingas Eltern hatten sie vor drei Jahrzehnten aufgenommen, nachdem Annas erwachsener Bruder Zoltan auf mysteriöse Art verschwunden war. Seit jenem Tag wird auch Ingas Bruder Magnus vermisst. Er war damals sechs Jahre alt, so wie Max jetzt. Seitdem besteht auch der Verdacht, Zoltan habe Magnus verschleppt. Anna jedoch ist von der Unschuld ihres Bruders überzeugt.

Die Protagonisten tragen dicke Wollklamotten, der Zuschauer fröstelt vor dem Fernseher

Die Rückkehr steht unter keinem guten Stern. Zwischen Inga und ihrem Mann Christian, einem Verlagsmanager, kriselt es. Die Dorfbewohner empfangen sie kühl, noch dazu treiben sie zu dieser Jahreszeit als "Laren" mit Gruselmasken ihr traditionelles Unwesen und jagen Max Schrecken ein. Man weiß nicht recht, was uneinladender ist - der unscheinbare Ort in seinem fahlen Wintergrau, das halb gefrorene Moor drumherum oder Ingas heruntergekommenes Elternhaus zwischen Schneematsch und unzulänglichen Holzöfen. Als Zuschauer fröstelt man ab Minute eins und die Protagonisten wohl auch, denn sie tragen dicke Wollklamotten, gemütlich wirkt das aber nicht. Hygge geht anders.

Auf Inga kommt einiges zu: Sie muss die Beerdigung planen, ihrem Sohn die Ängste vor den Laren nehmen, ihren vermissten Bruder endgültig für tot erklären, um die Erbschaft antreten zu können, dazwischen die halbdemente Mutter im Pflegeheim besuchen. Sie muss sich der unerklärlichen Feindseligkeiten der Dörfler erwehren und versuchen, das Haus zu verkaufen, das laut örtlichem Immobilienmakler "einen schlechten Ruf hat". Da sind die ungeklärten Ereignisse von damals, die seitdem in Inga arbeiten. Sie nimmt abends Tabletten, "damit ich schlafen kann", wie sie Max erklärt.

Es ist sehr absehbar, dass das alles zu viel für sie wird, das Ringen mit der Vergangenheit gerät zum Horror, in dem der Film ein bisschen schwelgt, aber nur gerade so viel, dass es ein bisschen böse, aber nicht wirklich krass wird. Inga halluziniert, sieht in Max ihren kleinen Bruder Magnus (von Cai Cohrs in einer Doppelrolle gespielt, als Magnus trägt er eine Lockenperücke) und "begegnet" ständig Szenen aus ihrer Kindheit. Ästhetisch und technisch wird dabei arg nachgeholfen, mit viel Grau-Blau-Schleier, miesem Wetter, schwarzen Raben, die auf kahlen Ästen sitzen, oder Ingas immer wirreren Haaren. Dass Christian wegen Arbeitsüberlastung ("Ich muss auf die Buchmesse") für die Beerdigung absagt, das Handynetz ausfällt, Max' Asthmaspray verschwindet, die Hauskatze die Milch im Napf verweigert, und plötzlich ein Zettel mit der Aufschrift "Mörderhaus" an der Tür klebt, macht die Sache nicht einfacher. Und dann ist da noch Anna, die sich mal freundlich, mal abweisend verhält. Die Schauspielkunst von Bibiana Beglau wird in dieser Rolle klar unterfordert, sie kann dem Film aber mit Beglau-typischer Mimik und den katzenhaften Bewegungen immerhin eine sehenswerte Diabolik verleihen - die wiederum wunderbar an ihre Rolle als Mephisto im "Faust" am Residenztheater München erinnert.

Manche Szenen erinnern an Kubricks Film "Shining", nur dass der Junge kein Gokart fährt

Annas kleine Gemeinheiten nehmen zu, Ingas Halluzinationen mutieren zu Panikattacken, das alte Haus gerät immer mehr zum Spukschloss. Manche Szenen erinnern an Stanley Kubricks Horrorfilm Shining, nur dass Max nicht mit einem Gokart durch die Gänge fährt. Teufelsmoor ist als Psychothriller ausgewiesen, aber der Film ist weit mehr, beziehungsweise er kann sich nicht entscheiden, ob er Thriller, Grusel, böses Märchen oder Familientragödie sein will. Die vielen Nebendramen überfrachten bisweilen die Handlung (Buch: Corinna Vogelsang; Regie: Brigitte Maria Bertele), so viel Unheil und Unglück können sich eigentlich nicht in einem Dorf, in einer Familie, in einem Haus ballen.

Schließlich bekommt dann auch das Moor seinen verdienten Auftritt, und das böse Familiengeheimnis lüftet sich - vorausgesetzt, Ingas Erinnerungen geben das Geschehene korrekt wieder.

Teufelsmoor , ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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