Radio zum Mitmachen:Sie spielen, weil es plötzlich geht

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Detektor.fm heißt das Radioprogramm, bei dem jeder von draußen mitsenden kann. Ob die Crowd die Welt klüger macht, ist dabei nicht die Frage. Fest steht: Sie macht anderen Hörfunk. Jetzt ist das Format für den Radiopreis nominiert

Stefan Fischer

"In diesem Bereich brodelt es", sagt der Geschäftsführer von detektor.fm, Christian Bollert, 30, und meint damit die Art Radio, für die er steht. Ob es in ihm selbst brodelt, sagt Bollert nicht, aber er ist überrascht und stolz angesichts der Nachricht, dass es sein Webradio aus Leipzig in der Kategorie Beste Innovation beim Deutschen Radiopreis unter die drei Kandidaten der Shortlist geschafft hat. "Die Nominierung ist für uns ein Ritterschlag", sagt Redaktionsleiter Marcus Engert, 28.

Der Preis wird am 6. September in Hamburg verliehen, und die Nominierungen zeigen, was sich gerade im Radio tut. "Am Netz vorbei", sagt Engert, "ist es unserer Meinung nach nicht mehr möglich, Radio zu machen." Was Engert und Bollert gerade vorantreiben, ist sogenanntes Crowd Radio, Hörfunk, bei dem eine Menge Leute von draußen mitmachen.

Das Prinzip der Crowd kommt bekanntlich aus dem Internet. Dort wird es praktiziert, verehrt; und manchmal findet man in der Crowd sogar die Intelligenz, die ihr gern zugeschrieben wird. Häufig auch nicht. Jedenfalls ist es folgerichtig, dass die dreistündige Pilotsendung des Mitmach-Projekts von detektor.fm im Mai zum Thema hatte, was auf der Web 2.0-Konferenz re:publica in Berlin diskutiert wurde. Im Herbst soll daraus ein monatliches Format werden.

Das zweieinhalb Jahre junge Start-up aus Leipzig ist vor allem ein Zeichen dafür, wie die Digitalisierung das Medium Radio verändert. Es ist ein Spiel mit dem, was plötzlich geht. Die Erfurter Agentur Frischr hat für den Sender die Smartphone-App Crowd Radio entwickelt, mit der Wortaufnahmen und demnächst auch Videos direkt ins Redaktionssystem überspielt werden können. Die Nominierung belegt auch, dass der Preis nicht eine Angelegenheit ausschließlich der öffentlich-rechtlichen Anstalten sowie der großen Privatradios und ihrer Vermarkter ist, die ihn ausloben.

Sondern dass auch Typen wie Bollert und Engert wahrgenommen werden. Die beiden begreifen sich als Journalisten, nicht als Entertainer. Bollert ist Mitglied im Netzwerk Recherche, 2007 erhielt er für eine Reportage eine lobende Erwähnung beim Axel-Springer-Preis. Engert ist vor allem als Redakteur im Lokalradio sozialisiert. Sie haben detektor.fm einen Redaktionskodex verpasst. Für die oft schwerfällige ARD sind die beiden zu dynamisch, fürs private Musikradio zu ernsthaft.

Viele Sender probieren derzeit aus, mit Smartphones mobil zu produzieren. Der Deutschlandfunk etwa sammelt in einem Feldversuch gerade Erfahrungen. "Von der technischen Qualität her funktioniert das", sagt der Sendersprecher Dietmar Boettcher. "Womöglich können Smartphones also die Berichterstattung revolutionieren." Weil im Grunde jeder Journalist jederzeit ein Gerät bei sich hat, mit dem er sendefähige Aufnahmen machen kann - sein Telefon. Probleme, die es noch gibt, liegen eher bei der Datenübermittlung.

Der Bayerische Rundfunk hat bereits eine webbasierte Plattform für Reporter und Korrespondenten entwickelt, über die sie ihre Aufnahmen von Smartphones und Tablets direkt in die Produktionssysteme des BR hochladen können. "Smartphones können dann eingesetzt werden, wenn es sehr schnell gehen muss und keine professionellen Aufnahmegeräte vor Ort zur Hand sind", sagt Regine Fenn, Sprecherin des Senders.

Bei detektor.fm wollen sie bald noch weiter gehen, sobald das Mobilfunk-Breitbandnetz steht. Ein Gesprächspartner könnte sich bei einem Telefoninterview mit seinem Smartphone zusätzlich selbst aufnehmen und die Audiodatei ins Studio schicken. Legt man beide Tonspuren übereinander, "klingt das besser als jedes Festnetzgespräch - so, als ob der andere im Studio säße", sagt Christian Bollert. Und das sei keine Manipulation: "Man verlagert nur die Mikrofonquelle." Das stimmt. Aber ein bisschen verändert sich der Realitätsbegriff dabei trotzdem.

Anders als bei den Öffentlich-Rechtlichen und auch einigen Privaten nutzen bei detektor.fm nicht nur Mitarbeiter die Smartphone-Technik. Rund tausendmal wurde die App Crowd Radio bisher heruntergeladen. Derzeit programmiert Frischr eine Version für Android-Geräte. "Dann rechnen wir mit einem Zuwachs der Downloads in den fünfstelligen Bereich hinein", sagt der Redaktionsleiter Marcus Engert.

Theoretisch kann auch jeder UKW-Sender, privat oder öffentlich-rechtlich, eine App anbieten, die es jedermann ermöglicht, Interviews, Kommentare, Kurzreportagen zu übermitteln. Aber UKW steht in Wirklichkeit für eine andere Radiokultur.

Zum jungen Kulturkreis des Crowd Radio gehört unbedingt die Frage nach der journalistischen Qualität. Bei dem Pilotversuch von der Internetkonferenz re:publica schickten die Hobby-Journalisten überwiegend kurze Interviews mit den Rednern und Diskutanten der Konferenz. Bollert und Engert waren "überrascht, wie gut diese Sachen zumeist waren". Dass die Talks und Magazinstücke eine fundierte Wissens- oder Reportagesendung ersetzen könnten, würden nicht einmal die Macher selbst behaupten.

Der 3. Deutsche Radiopreis wird am 6. September in Hamburg verliehen, Barbara Schöneberger wird die Gala moderieren. In der Kategorie Beste Innovation konkurriert detektor.fm mit dem RBB und Kiss FM um die Auszeichnung. Nachdem in den ersten beiden Jahren erwartungsgemäß der Deutschlandfunk und BR 5 aktuell als beste Nachrichtenformate ausgezeichnet worden sind, könnte in diesem Jahr erstmals ein Privatsender den Preis in dieser Kategorie bekommen: das rheinlandpfälzische RPR1 oder Antenne Thüringen - wenn er nicht doch an WDR 1Live geht. Für die übrigen journalistischen Kategorien - Interview und Reportage - sind ausschließlich öffentlich-rechtliche Sendungen nominiert. Als beste Moderatorin stehen Anja Caspary (RBB), Sina Peschke (Landeswelle Thüringen) und Nina Zimmermann (NDR/N-Joy) zur Wahl, bei den Moderatoren Hans Blomberg (Kiss FM), Werner Reinke (HR 1) und Johannes Scherer (Hit Radio FFH). Laudatoren sind unter anderen Richard von Weizsäcker, Caren Miosga und der Graf. Die Gala wird von 20 Uhr an von 58 Radiosendern live übertragen, zeitversetzt ist sie in den dritten ARD-Programmen (außer BR) zu sehen.

Korrektur: In der ursprünglichen Fassung des Artikels hieß es fälschlicher Weise, Christian Bollert sei 2007 für eine Reportage mit dem Axel-Springer-Preis ausgezeichnet worden. Dies ist nicht korrekt. Bollert erhielt eine lobende Erwähnung.

© SZ vom 28.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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