Radio und Zeitung:Hör zu

"Guten Morgen, Sie hören Ihren Radio-Leserservice": Ein australischer Hörfunksender lässt Zeitungen und Zeitschriften vorlesen - nach strengen Regeln: Seite für Seite, Artikel für Artikel und das den ganzen Tag.

Von Viola Schenz

Eigentlich ist die Sache klar: Radio hört man, Zeitungen liest man. Bis man auf RHP stößt: Ein Jingle, der nach den Fünfziger Jahren klingt, eine sonore Männerstimme sagt: "Guten Morgen, Sie hören 2RPH, Ihren Radio-Leserservice". Die antiquierte Musik fährt hoch, jemand räuspert sich, langsam und laut. Kurze Pause.

2RPH ist ein sehr besonderer Radiosender, denn er bringt Zeitungen zum Klingen. Hier werden sie vorgelesen - Seite für Seite, Artikel für Artikel, jeden Tag, den ganzen Tag; Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Nachrichtenmagazine. RPH ist ein Verbund australischer Radiosender. "Zwei" steht für den Bundesstaat New South Wales, RPH für "Radio for the Print Handicapped", also "Radio für die Druck-Eingeschränkten". Also alle, die aus unterschiedlichen Gründen nicht lesen können. Laut Sender fallen 18 Prozent der Australier oder knapp vier Millionen Menschen in diese Kategorie.

Gegründet wurde RPH 1975 in Melbourne, im Süden des Kontinents, in jener Zeit der sozialen und politischen Reformen, als in vielen Ländern der westlichen Welt Programme für Minderheiten aufkamen. "In den späten 70er Jahren hatten Sehbehinderte eigentlich nur über die Blindenschrift Braille Zugang zur Welt der gedruckten Medien", erklärt Nicci Lindemann, die Direktorin von 2RPH, des größten Senders des Verbunds. "Unser Programm war also ein kreativer Weg, ihnen Zugang dazu zu ermöglichen - kostenlos und einfach."

Wo der Text auf der Zeitungsseite steht? Auch das erfährt der Hörer

Der Großteil des Programms wird fertig produziert gesendet, die Tageszeitungen allerdings werden immer live vorgelesen, knapp sieben Stunden am Tag, der Marathon beginnt immer mit dem Sydney Morning Herald. Auch die Leserbriefe gehören dazu, und ja, selbst die Liste der gerade Verstorbenen wird verlesen - zu getragener Erkennungsmelodie.

RPH ist nichts für Ungeduldige. Alles läuft nach festen Regeln: Erst wird die gesamte Titelseite gelesen, es folgen die Kommentare, das Wichtigste aus Politik, aus Wirtschaft, Sport und Lokalem. Jeder Artikel kommt in voller Länge zum Vortrag - Autor, Seite und Position auf der Seite ("unten rechts") werden ebenfalls genannt. Das Angebot beschränkt sich nicht auf australische Medien, The New Yorker, Time Magazine oder der britische Economist sind auch dabei; insgesamt 40 Zeitschriften pro Woche, auch Frauen-, Koch-, Gartenmagazine. Es lesen keine Profis, bei 2RPH in Sydney gibt es nur drei festangestellte und festbezahlte Mitarbeiter, ansonsten 200 Ehrenamtliche - am Mikrofon und in der Regie. Man hört etliche Versprecher, und manchmal hört man eine halbe Minute lang gar nichts, weil der richtige Knopf nicht gefunden wird.

Die Ehrenamtlichen kommen von überall her. Die Nachfrage sei enorm, in Sydney hätten sie noch nie für diesen Freiwilligendienst werben müssen, sagt Lindemann. "Wir haben Lehrer, Schauspieler, Journalisten, sogar Banker, Studenten und Rentner." Zwischen 20 und Mitte 80 seien die Bewerber, "alle müssen vorsprechen, sie werden geschult, das Vorsprechen wird streng gehandhabt, aber 80 Prozent bestehen es", sagt Lindemann.

RPH ist gemeinnützig, lebt von staatlichen Zuschüssen, von Sponsoren, Mitgliedsbeiträgen, Spenden. Die Zeitungen und Magazine bekommen Lindemann und ihr Team nicht gestellt, sie müssen für die Abonnements zahlen. Wie viele Hörer es gibt, kann hier niemand beantworten. Da müsste man Umfragen in Auftrag geben, und die kosten zu viel.

Geld ist immer knapp, aber wirklich Sorge macht den Verantwortlichen etwas anderes - der Technologiewandel: RPH bekommt Konkurrenz, mehr und mehr Zeitungen bieten ihre Artikel auch als Hör-Fassung auf ihren Websites an. Und dann ist da die Printkrise, die auch den australischen Zeitungen zu schaffen macht. Gerade hat der Sydney Morning Herald angekündigt, werktags nur noch online zu erscheinen. Ob dann vom Bildschirm vorgelesen wird, darüber ist man sich bei RPH noch unklar.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: