Lars Haider ist schon wieder raus. Der Chefredakteur des Hamburger Abendblatts saß zunächst selbst auf der Anklagebank im Prozess gegen Mitglieder seiner Redaktion, den die Staatsanwaltschaft in Hamburg "wegen verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen" nach § 353d im Strafgesetzbuch angestrengt hat. Er sollte mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass zwei Abendblatt-Redakteure im Juni 2014 vor dem Prozess gegen die Eltern des getöteten Kindes Yagmur in zwei Artikeln wörtlich und damit rechtswidrig aus der Strafakte zitierten.
Haider konnte das widerlegen. Er war an dem Tag, an dem betreffende Artikel produziert wurden, nicht in der Redaktion. Seinen vorzeitigen Freispruch findet Haider logisch. Und den gesamten Prozess? "Ich verstehe die große Akribie, mit der die Staatsanwaltschaft den ,Fall' verfolgt, nicht", sagt er.
Immerhin, der Prozess, in dem es am Donnerstag zum Urteil kommen soll, ist ein Lehrstück für Investigativ-Journalisten, die etwas über die rechtlichen Grenzen ihres Tuns erfahren wollen. Und er wirft jenen Gedanken neu auf, der Medienverbände schon auf die Barrikaden brachte, als der Paragraph 353d in den Siebzigerjahren eingeführt wurde: Verletzt es nicht die Pressefreiheit, wenn das Gesetz vorschreibt, wie Journalisten vor einer Verhandlung aus Gerichtsakten zitieren dürfen?
"Diese Gesetzgebung ist hoch umstritten", sagt Dennis Grünert, Anwalt von einer der beiden Angeklagten, "ich finde sie nicht unproblematisch." Schließlich haben die Redakteure nichts Falsches geschrieben, als sie Teile einer WhatsApp-Konversation der Eltern wiedergaben, die nahelegten, dass die Mutter das Kind bis zum Tode misshandelt hatte. Die Tragödie bewegte Hamburg sehr, die Berichterstattung lieferte einen Einblick, durch den die Öffentlichkeit den Fall besser verstehen konnte.
Zitiert wurde ein Chat im Fall des getöteten Kindes Yagmur
Die Kommentatoren des Paragrafen verweisen allerdings darauf, dass der Gesetzgeber damit nicht die Pressefreiheit beschränken wolle, sondern die Fairness von Gerichtsverfahren absichern. "Man will verhindern, dass Zeugen und Laienrichter durch Zitate beeinflusst werden, die man ganz anders bewerten könnte, wenn sie aus dem Gesamtzusammenhang der Strafakte gerissen werden", sagt Ruth Hütteroth, Sprecherin des Hamburger Amtsgerichts.
Für Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats, kann das Gesetz damit tatsächlich über die Grenzen investigativer Recherche entscheiden. Aber: "Immerhin haben wir als Presse kreative Instrumentarien an der Hand, die Strafbarkeit zu vermeiden." Zitate in indirekte Rede zu setzen, hilft zum Beispiel.
Die Redakteure sagen, sie hätten sich ihre Artikel damals vom Justiziar absegnen lassen und damit alles getan, um im Rahmen des Gesetzes zu bleiben. Sie plädieren auf einen "unvermeidbaren Verbotsirrtum". Der Justiziar ist für Donnerstag als Zeuge geladen. Chefredakteur Haider rechnet fest mit einem Freispruch für seine Leute. "Ansonsten haben die Journalisten in ganz Deutschland ein Problem", findet er, "Sie können sich dann nämlich bei rechtlichen Fragen nicht mehr auf den Rat eines Justiziars verlassen."