Presse in Brasilien:Zweites Leben

Lesezeit: 3 min

Unternehmer Omar Resende mit seiner neuen Zeitung. (Foto: privat)

2010 wurde die Printausgabe der Traditionszeitung "Jornal do Brasil" eingestellt. Jetzt gibt ihr ein schwerreicher Unternehmer eine neue Chance.

Von Boris Herrmann

Es gibt auch noch gute Nachrichten aus Brasilien, verkündete die Zeitung Jornal do Brasil Ende Februar auf ihrer Titelseite. Gemeint war damit diese Titelseite selbst. Neben einem lächelnden Cristo Redentor, dem Wahrzeichen von Rio, und einem großen roten Herz stand dort: "Der Beweis, dass unser Land eine Zukunft hat, ist unsere Rückkehr als gedruckte Tageszeitung."

Das Jornal do Brasil, kurz JB, ist eine der traditionsreichsten Zeitungen Südamerikas und für viele Bewohner Rios auch so etwas wie ein Wahrzeichen ihrer Stadt. JB erschien erstmals 1891, zunächst als anachronistisches Kampfblatt für die gerade untergegangene Monarchie. Im 20. Jahrhundert entwickelte sie sich aber schnell zu einer der führenden Zeitungen des Kontinents und zum Sprachrohr der brasilianischen Moderne. Während der Militärdiktatur (1964 bis 1985) schlug sich die Herausgeberfamilie Nascimento e Brito auf die Seite des Regimes, während sich die meisten Redakteure auflehnten und die Besitzer schließlich zum Teufel jagten. Fortan besetzte JB als kritische unter lauter unkritischen Zeitungen wie O Globo oder Folha de São Paulo eine Marktlücke. In den Augen vieler Brasilianer ist sie darum bis heute ein Symbol des publizistischen Widerstandes. Nach der Rückkehr zur Demokratie Mitte der Achtzigerjahre verlor sie ihr Alleinstellungsmerkmal, 2010 stellte das Blatt hoch verschuldet seine Printausgabe ein und erschien nur noch in einer stark abgespeckten Online-Version.

Jetzt ist das Jornal do Brasil also an die Kioske zurückgekehrt, zunächst einmal probeweise in Rio. Wie sehr sich die Leser dort nach guten Nachrichten sehnen, war am Tag des Comebacks zu spüren. Nach wenigen Stunden waren 40 000 Exemplare ausverkauft, und überall traf man Leute, die fragten: "Hast du eine JB bekommen?" Das ist bemerkenswert in einem durch und durch fernseh- und handyverrückten Land wie Brasilien, wo man sich sonst wie ein Außerirdischer fühlt, wenn man in der U-Bahn eine gedruckte Zeitung liest.

Der neue Herausgeber Omar Resende, 60, sagt, er könne verstehen, dass dieser Relaunch manchem wie eine "Geisterfahrt in der Geschichte" vorkomme. Brasilien steckt noch immer in seiner schwersten Wirtschaftskrise der vergangenen Jahrzehnte, den Bundesstaat Rio de Janeiro hat es am härtesten erwischt. Gleichzeitig werden weltweit gedruckte Medien kaputtgespart oder eingestellt. Resende vermarktet sein neues Projekt deshalb als doppeltes Statement: gegen die brasilianische Weinerlichkeit und gegen die Zeitungskrise.

Der neue Eigentümer glaubt, eine Marktlücke gefunden zu haben: unabhängigen Journalismus

Der schwerreiche Unternehmer hat sein Vermögen in der Schifffahrtsindustrie gemacht und fiel zuletzt vor allem als Betreiber von exklusiven Gaststätten auf. Er wehrt sich aber gegen den Verdacht, ein publizistischer Anfänger zu sein. In seiner Heimat Minas Gerais gehörten ihm zeitweilig ein Fernseh- und ein Radiosender sowie eine Lokalzeitung. Die Reste von JB kaufte er Anfang 2017 auf. Er glaubt, für das Traditionsblatt wieder eine Marktlücke gefunden zu haben - unabhängigen Journalismus in einer Medienlandschaft, die vor allem vom Globo-Imperium dominiert wird. Dafür hat er unter anderem Tereza Cruvinel als Kolumnistin verpflichtet, die in den Jahren der linksgerichteten Regierungen von Lula und Dilma Rousseff die öffentliche TV-Anstalt EBC leitete. Unabhängig heißt hier sicherlich auch: nicht so konservativ wie fast alle anderen in Brasilien erscheinenden Zeitungen.

JB will sich zunächst mit einer kleinen Redaktion von etwa 30 Journalisten auf diesem Markt behaupten. Auffallend groß ist dagegen die Schrift, so erweckten einige Ausgaben der ersten Wochen den Verdacht, es gehe auch darum, irgendwie die Seiten zu füllen. Resende will aber weiter investieren und sieht mittelfristig ein Potenzial von bis zu 100 000 täglichen Lesern. Brasiliens größte Zeitung O Globo hatte im vergangenen Jahr eine gedruckte Auflage von 130 000. Tatsächlich erscheinen die Zeiten günstig für ein Traditionsblatt mit antimilitärischer Vergangenheit. In Rio hat die Armee gerade die Aufgaben der völlig überforderten Polizei übernommen. Was die etablierten Medien grundsätzlich begrüßen, wird von JB scharf kritisiert.

Die rasant vergriffene Erstausgabe war auf bizarre Weise unangepasst. Auf 52 Seiten enthielt sie keine einzige Nachricht oder Reportage. Stattdessen durften nahezu alle Spitzenpolitiker des Landes, die gerade nicht im Gefängnis sind, darlegen, weshalb die Wiedergeburt von JB ein Segen für die brasilianische Demokratie ist, darunter der aktuelle Präsident Michel Temer und dessen Vorgänger Lula, Fernando Collor und José Sarney. Leider war keiner der Gastbeiträge gewitzt genug, um zu sagen: JB wird auch deshalb gebraucht, um die korrupten Machenschaften von Leuten wie Temer, Lula, Collor oder Sarney aufzudecken.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: