Preisverleihung:Herzensbildung in Walhalla

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Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hielt die Laudatio auf den Preisträger Stefan Berg. (Foto: Robert Haas)

Der "Spiegel"-Journalist Stefan Berg erhält für seine "Streitschrift zur Deutschen Einheit" den Herbert-Riehl-Heyse-Preis und bedankt sich fast bei der DDR. Laudator Bodo Ramelow sieht den Journalismus als Wachhund.

Von Cornelius Pollmer

Der Ehrensaal im Deutschen Museum mutet an wie ein Walhalla der Wissenschaft: Planck und Heisenberg, Gauss und Fraunhofer, Bosch, Siemens - als Büsten grüßen sie hier alle von der Wand, am Donnerstag leuchtet dazwischen für eine Weile auch der Name Herbert Riehl-Heyse auf. Er steht dort als Projektion eines surrenden Beamers und er steht dort ziemlich gut.

Ein Abend wie dieser sei "ein Gedenk- und ein Festabend", sagt Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, in seiner Eröffnungsrede. Das Gedenken gilt am Donnerstag dem genannten Riehl-Heyse. Dieser hatte nicht erst als Chefreporter jenen Geist und Ton geprägt, ohne welchen die SZ heute wenn schon keine gewöhnliche, so doch eine weniger besondere Zeitung wäre. Der Kabarettist Georg Schramm arbeitet diese zuweilen herausfordernde Liebenswürdigkeit der SZ in seinem Vortrag heraus. Zum Festabend wird der Donnerstag in besonderer Weise für den Spiegel-Journalisten Stefan Berg. Für seine Streitschrift zum Tag der Deutschen Einheit erkannte ihm die Jury in diesem Jahr jenen Preis zu, den die Gesellschafter des Süddeutschen Verlages nach dem Tod Riehl-Heyses im Jahr 2003 in dessen Namen gestiftet hatten. Berg wendet sich in seinem Text dem zu, was Prantl in seiner Eröffnung "die gefühlte Zurücksetzung" vieler Menschen in der ehemaligen DDR nennt.

Viele Journalisten blickten in den Osten und sahen dort Wilde

Warum dieser Text und sein Autor als preiswürdig zu gelten haben, verdeutlicht sich dem Publikum in Bergs Dankesrede wie auch in dessen Bühnengespräch mit Hans Werner Kilz, Moderator des Abends und ehemals Chefredakteur der SZ. Berg, geboren 1964 in Ostberlin, erinnert sich, wie "kalt und lebensfern" viele Kollegen aus dem Westen früher auf den Osten und die Ostdeutschen geschaut hätten, in denen sie keine Mitbürger, sondern Wilde gesehen hätten. In dieser Kritik erweist sich Berg als genauso klar wie in seiner Sorge angesichts partieller Verrohung und Verrechtung im Osten der Gegenwart. Nicht nur dort gelte: Wo Unworte wuchern, können Untaten folgen. Berg sagt, er habe in der DDR gelernt, sich "wortreich, aber waffenlos zu verteidigen", dafür sei er dankbar und fast frage er sich, ob er der DDR dafür einen verspäteten Dank schulde. In dieser Fähigkeit jedenfalls sieht Stefan Berg Verantwortung und Chance von gutem Journalismus. Dieser könne ermutigend sein und zur Herzensbildung beitragen.

Die Qualitäten Stefan Bergs sind solche, die gute Journalisten grundsätzlich auszeichnen: Sich Genauigkeit abfordern, wo andere auf Klischees zurückgreifen. Einen mutigen Gedanken formulieren, wo ihn andere aus Scheu vor Konflikten für sich behalten. Immer wieder danach streben, Menschen gerecht zu werden, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Dass diese Qualitäten Bergs in dem Osten Deutschlands auf ein ganz besonderes Sujet treffen, verdeutlicht am Donnerstag Laudator Bodo Ramelow, der in Westdeutschland geborene Ministerpräsident von Thüringen.

Ramelow, der Berg seit mehr als 20 Jahren kennt, würdigt den Preisträger als wohl genauesten journalistischen Kenner seiner Partei, der Linken. Nicht immer sei dies für diese angenehm gewesen, aber auch er sehe den Journalismus lieber als Wach- denn als Schoßhund der Demokratie, "und Herr Berg hat immer gebellt". So ein Bellen wird umso besser gehört, wenn der Hund nicht bei allen unterschiedlichen Gelegenheiten gleich anschlägt. Und so bemüht sich Bodo Ramelow in seiner Rede um jene Differenziertheit, mit der sowohl der Träger der Auszeichnung als auch Preispatron Riehl-Heyse zu assoziieren sind. Für Thüringen bedeute dies, dass 27 Jahre nach der Wiedervereinigung im Grunde zwei Bilanzen zu ziehen sein. Einerseits müsse man konstatieren, dass 25 Prozent der Bevölkerung rechtsgeneigt seien und oft ohne innerliche Fülle. Andererseits solle man auch Erfolge anerkennen. Wirtschaftlich betrachtet etwa sei gerade sein Land weit vorangekommen und inzwischen eine Art "Westen des Ostens". Das ist noch keine Einheit, aber womöglich ein Schritt dahin.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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