Porträt:Weiterreise ohne Vater

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Rumänische "Erzählseele": Anca Miruna Lazarescu dreht für Netflix. (Foto: Privat)

Die in Rumänien geborene Regisseurin Anca Lazarescu hat sich durchgebissen und wird mit dem Grimme-Preis für ihre Serie "Hackerville" belohnt.

Von Kathrin Hollmer

Mitten im Gespräch füllen sich Anca Miruna Lazarescus Augen mit Tränen. An diesem Freitag erhält sie den Grimme-Preis für die Serie Hackerville, und erst jetzt wird ihr klar, dass am selben Abend, auf derselben Bühne, auch der Mann ausgezeichnet wird, der ihr während eines Karrieretiefs wichtigen Zuspruch gab: der Regisseur Christian Schwochow, der für die Serie Bad Banks prämiert wird.

Die Kurz- und Kinofilme der Drehbuchautorin und Regisseurin Anca Miruna Lazarescu, 40, werden von Kritikern gelobt und sind mehrfach ausgezeichnet, ebenso ihre rumänisch-deutsche Cyber-Krimiserie Hackerville aus dem vergangenen Jahr. Gerade dreht sie für Netflix die Serie Die Welle. Am Vortag hat sie bis spät abends Drehorte besichtigt, parallel hat bereits der Schnitt begonnen. "Netflix-Tempo", sagt Lazarescu beim Frühstück in einem Café in Köln, bevor der 35. Drehtag beginnt.

Nach ihrem aktuellen Kinofilm Glück ist was für Weicheier ist Die Welle erst ihre zweite Produktion, die nichts mit der eigenen Biografie zu tun hat. Es gab allerdings auch einiges aufzuarbeiten. Lazarescu, die mit bürgerlichem Namen Dunga heißt, gebürtige Rumänin ist und - das betont sie - "zu einem Viertel Ungarin", wuchs in Timişoara im Westen Rumäniens auf. Ihre Mutter, die bis heute als Ärztin arbeitet, wollte, dass sie Deutsch lernte. Auch ihr Vater, der Ingenieur war, träumte immer "vom goldenen Westen". Seine Geschichte verarbeitete Lazarescu in ihrem ersten Langfilm Die Reise mit Vater : 1968, bei der Zerschlagung des Prager Frühlings, hielt sich Lazarescus Vater in der DDR auf und sollte über Westdeutschland nach Rumänien zurückkehren. Statt die Chance zu nutzen und im Westen zu bleiben, ging er zurück zu seiner damaligen Freundin. "Die Entscheidung hat er immer bereut", sagt Lazarescu. Die Beziehung hielt nicht lange. "Mein Vater sagte immer, dass wir auf der falschen Seite der Welt geboren sind."

Im Jahr nach dem Sturz der Diktatur 1989 wanderte Lazarescus Familie nach Deutschland aus, in einen kleinen Ort in Niedersachsen. Nach all der Disziplin in Rumänien war der Elfjährigen der Unterricht bei den "freigeistigen Alt-68er-Lehrern am Anfang zu chaotisch". Erst nach einer Weile begriff sie, was für ein Geschenk das ist: "Ein Bildungssystem, das einem ermöglicht, sich zu verwirklichen." In Deutschland will sie sich schnell anpassen, schreibt ihren Vornamen mit K statt mit C, Anka statt Anca, übt, bis sie das R nicht mehr rollt. Mit 13 hat sie keinen Akzent mehr. "Ich habe jahrelang alles von mir gewiesen, was osteuropäisch ist." Als sie mit 15 ungarische Straßenmusikanten spielen hört, beginnt sie zu weinen, kurz darauf schreibt sie ihren Namen wieder mit C. "Ich bin anders", sagt sie. "Ich lache zu laut, liebe zu intensiv. Für meine ganzen Gefühle ist im Alltag nicht immer Platz, beim Filmemachen schon." Ihre "Erzählseele" sei rumänisch.

Wie sie auf die Idee kam, zum Film zu gehen, weiß sie nicht mehr genau. Ihr Vater war sehr cinephil, seine Lieblingsfilme, tschechische Schwarz-Weiß-Filme, konnte er auswendig. "Er war eine verkappte Künstlerseele", sagt Lazarescu. "Vielleicht hat er das auf mich übertragen." Nach der Schule arbeitete sie beim Radio und als Lokaljournalistin. Am liebsten waren ihr Porträts. Aber beim Radio fehlte ihr das Bild, bei der Zeitung der Klang der Stimmen. Schließlich studierte sie Dokumentarfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Als sie in der Ausbildung Werbefilme drehte, merkte sie, dass ihr das Inszenieren mit Schauspielern liegt. "Obwohl mich das überhaupt nicht interessiert hat", sagt Lazarescu. "Ich wollte ja Dokumentarfilme machen." Da allerdings habe man keine Kontrolle: "Wenn du eine Szene verpasst hast, hast du sie verpasst. In der Fiktion kannst du Welten erschaffen und steuern." Das interessiere sie bis heute am meisten - hochemotional und gleichzeitig glaubwürdig, gut recherchiert zu erzählen.

Ihr Abschlussfilm wird 2011 der meistprämierte deutsche Kurzfilm aller Zeiten mit rund 80 Preisen

Ihr Abschlussfilm Silent River über eine Flucht über die Donau während der Diktatur, nach einer wahren Geschichte aus ihrem Familienkreis, wird 2011 der meistprämierte deutsche Kurzfilm aller Zeiten mit rund 80 Preisen. Auch Die Reise mit Vater (2016) wird mehrmals ausgezeichnet, am Ende sehen ihn aber nur rund 20 000 Kinobesucher. "Finanziell war das ein Desaster", sagt Lazarescu, "Ich habe sieben Jahre daran gearbeitet und mich gefragt, ob mich diese Branche überhaupt braucht." Vor allem zwei Briefe haben ihr Mut gemacht: die Vornominierung für den Deutschen Filmpreis und einer von Christian Schwochow. Sie kannten sich nicht, Lazarescu bewunderte seine Arbeit. "Er hatte meinen Film gesehen und wollte mir gratulieren. Halte durch, riet er mir damals."

Während des Drehs zu ihrem zweiten Langfilm Glück ist was für Weicheier kamen die Anfragen, erst für Hackerville von HBO Europe und TNT Serie, danach für Die Welle von Netflix. An Serien mag Lazarescu, dass man Figuren länger entwickeln und tiefer in die Handlung eintauchen kann. "Bei der Welle haben wir sechsmal 45 Minuten zur Verfügung", sagt sie. "Das sind drei Kinofilme." Ihre Stärke sind skurrile Figuren und abseitigere Themen. Über Streamingdienste finden diese oft besser ein Publikum als an der Kinokasse.

Zweieinhalb Jahre hat sie durchgearbeitet, nach dem Netflix-Dreh will sie Pause machen, für die Familie. Ein Kinostoff, ein Biopic, reizt sie aber schon, und mit einer Kollegin schreibt sie an einem Drehbuch für eine Tragikomödie, ihr liebstes Genre: "In Rumänien wird ganz viel gelacht und geweint und gern zur gleichen Zeit", erklärt sie. Und da ist auch noch Hackerville. Kommt eine zweite Staffel? "Ich denke, dass HBO und TNT weiter machen werden", sagt Lazarescu. Den Grimme-Preis will sie ihrem Vater widmen, der während des Drehs für Die Reise mit Vater gestorben ist. "Wo auch immer er jetzt ist, der Preis soll ihm zeigen, dass er nicht mehr mit seiner Entscheidung hadern soll, dass er nach Rumänien zurückgekehrt ist", sagt sie. "Dass er alles richtig gemacht hat."

© SZ vom 05.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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