Porträt:Die Farbe Rot

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Am Freitag erhält die Produzentin Regina Ziegler beim Deutschen Filmpreis die Ehren-"Lola". Von Schnulze bis Filmkunst hat sie alles gemacht. Porträt einer Frau, die immer noch vor gar nichts zurückschreckt.

Von Verena Mayer

Sie ist jetzt 72 und hat einen Terminkalender wie ein Spitzenpolitiker. Gerade ist Regina Ziegler von einer Dienstreise in Cannes zurückgekommen, davor war sie beruflich auf Mallorca, und in einigen Stunden wird sie im Flieger nach Amerika sitzen. Die Produzentin gehört seit Jahrzehnten zu den Großen im deutschen Filmgeschäft, und sie wirkt nicht, als wollte sie irgendwann leiser treten.

Regina Ziegler hat in einen Konferenzraum ihrer Firma in Berlin gebeten, der viel zu groß ist für zwei Personen. So, als solle man gleich merken, dass sie jeden Platz ausfüllen kann. Ziegler, kräftige Stimme, flammend rotes Haar, beginnt gleich, Geschichten zu erzählen. Schnell und ohne Pausen, wie es Leute tun, die verinnerlicht haben, dass man andere nicht langweilen darf. Nur, als es darum geht, ob sie nicht manchmal an den Ruhestand denke, gibt sie kurz angebunden zurück: "Was soll ich dann tun, aus dem Fenster gucken?"

Der Anfang beim Rundfunk? Sie fuhr tagelang Aufzug, um Redakteure kennenzulernen

Andererseits wird an diesem Freitag der Deutsche Filmpreis vergeben, und Regina Ziegler wird aus den Händen der Schauspielerin Iris Berben eine "Lola" für ihr Lebenswerk entgegennehmen. Ist das nicht ein Anlass, um innezuhalten, etwas abzuschließen? Nein, sagt Ziegler. Die erste Auszeichnung für ihr Leben bekam sie, da war sie gerade mal 52. Andere folgten. So ein Preis könne nur eine Bilanz sein über "das, was bisher war".

Na gut, Blick auf das, was bisher war. Das ist einiges, genauer gesagt: 500 Filme. Die Wände in Zieglers Konferenzraum sind behängt mit Filmplakaten, überall stapeln sich DVD-Boxen. Viele Frauen sind darauf zu sehen, die Kommissarinnen aus den Fernsehkrimis, die Ziegler produzierte, oder die Protagonistinnen aus Weissensee, der preisgekrönten ARD-Serie, die über Jahre die Schicksale zweier Familien aus Ostberlin nachzeichnete, eine Art Lindenstraße der DDR-Geschichte.

Und da ist natürlich das Plakat von Kamikaze 1989, einer ihrer ersten Produktionen. Regina Ziegler hat, was die viele von ihr hergestellte handelsübliche Fernsehware etwas verdeckt, auch richtige Filmkunst produziert: Da waren Fabian, die Verfilmung des Romans von Erich Kästner (für den Oscar nominiert), Ein Jahr der ruhenden Sonne über eine Liebe im Nachkriegs-Warschau (Goldener Löwe bei den Filmfestspielen in Venedig) oder der ZDF-Dreiteiler Die Wölfe über eine Jugendbande zur Zeit der Berliner Blockade (ausgezeichnet mit dem Emmy). Und eben Kamikaze, in dem Rainer Werner Fassbinder zu Elektroklängen durch die Gegend kurvt, weil er als abgedrehter Cop im Leopardenfellanzug einen Mordfall aufklären muss.

Es war Fassbinders letzter Auftritt, bevor er 1982 starb. Ziegler erzählt, wie sie Fassbinder damals jede Dallas-Folge aufnehmen musste, weil er die Serie so sehr liebte. Man hört die Wehmut durch, aber auch Genugtuung. Darüber, dass die Ästhetik von damals überdauert hat, "die Bilder von Fassbinder in seinem Luxusschlitten, seine Körpersprache", nicht zuletzt die Musik. Einflüsse, die Ziegler heute in deutschen Filmen wie Oh Boy oder Victoria wiedererkennt.

Produzenten, wird gerne gesagt, müssen etwas von Geburtshelfern haben. Man sollte auf das Schlimmste gefasst sein, aber auch darauf vertrauen können, dass die Dinge schon irgendwie ihren Lauf nehmen. Wenn man in dem Bild bleiben will, hatte Regina Ziegler eine wirklich schwere Geburt: Der Historienfilm Henri 4 war das, der zehn Jahre in die Kinos brauchte und 20 Millionen Euro verschlang, Regina Ziegler musste sogar einen Teil ihre Altersvorsorge hineinbuttern. Missen wolle sie die Erfahrung trotzdem nicht. Woran erkennt sie, ob ein Film ein kommerzieller Erfolg wird? Wenn sie den Rohschnitt sehe, sagt Ziegler. "Dann weiß ich jedenfalls, ob das der Film ist, den ich mir vorgestellt habe."

Regina Ziegler blickt jetzt wirklich aus dem Fenster. Draußen ist jener Teil von Berlin, der gerne der "alte Westen" genannt wird. Der Funkturm ist um die Ecke und das klotzige Haus des Rundfunks, wo Ziegler als Produktionsassistentin anfing. Das Zutragen war nicht das Ihre, das Zupacken schon eher. Mit 29 hatte sie eine eigene Firma, als einzige Frau weit und breit. In den Sendern fuhr sie damals tagelang im Fahrstuhl auf und ab, um Redakteure kennenzulernen, anders hätte sie als junge Frau keinen Termin bekommen. "Man muss stehen, widerstehen, früh aufstehen", sagt Ziegler. Zum ersten Mal in dem Gespräch klingt die Anstrengung durch, die diese Karriere gekostet haben muss.

Ihre Eltern hätten sie sehr geprägt, sagt Ziegler. Beide konnten wegen des Krieges nicht studieren, ihre Mutter musste die Kinder durchbringen. Einmal war sie hochschwanger vier Tage lang in einem Luftschutzkeller eingeschlossen, weil eine Bombe auf das Haus gefallen war. Die deutsche Geschichte hat Regina Ziegler dann auch nicht mehr losgelassen, viele ihrer Produktionen handeln von der Nachkriegszeit und vom geteilten Deutschland. Die Serie Weissensee würde sie am liebsten noch bis in die Gegenwart erzählen, sagt sie, "als Ältere" fühle sie sich dazu verpflichtet. "Geschichtslosigkeit ist ein schwerer Makel."

Berlin, Potsdamer Platz. Einst wurde hier im Film Der Himmel über Berlin das Niemandsland einer geteilten Stadt beschworen, heute erzählt der Ort von der Gegenwart des deutschen Films. Multiplex-Kinos, wohin man schaut, die Berlinale findet hier statt, und dazwischen steht das Filmhaus mit seinen gläsernen Wänden. Darin ist gerade eine Ausstellung über Regina Ziegler zu sehen. In einer Vitrine liegt Fassbinders Leopardenjacke, ansonsten muss man sich vor einen der Computer setzen und Zieglers unzählige Produktionen abrufen. Es ist ein Streifzug durch die deutsche Unterhaltungsgeschichte, vom Tatort über Arzt-Serien und Schnulzen mit Christine Neubauer, bis hin zu Biopics über Rosa Luxemburg oder Willy Brandt.

"Was soll ich dann tun, aus dem Fenster gucken?" - Regina Ziegler, 72, denkt nicht an den Ruhestand. (Foto: Carsten Sander/oh)

Auf einem Bildschirm sieht man, dass Ziegler das deutsche Fernsehen eben nicht nur prägte, sondern immer auch selbst mitten drin war. Sie spielte bei Dalli Dalli mit, wo sie kurzerhand die Stöckelschuhe auszog, um bei einer Aufgabe schneller zu sein. Sie kochte mit Alfred Biolek, und in einer Sendung wird sie gefragt, ob sie sich als Produzentin auch darum kümmern müsse, ob ein Boot nun weiß oder lila gestrichen werde. "Wenn es falsch herum ist, schon", antwortet Ziegler auf diese trockene Berliner Art, die zu ihr gehört wie die knallrot gefärbten Haare. "Irren ist schließlich menschlich, nicht nur männlich."

An ihren Hochzeitstag hat sie sich nie erinnert. Gremm und sie hatten die Liebe und die Arbeit

Und immer wieder sieht man sie in Talkshows zusammen mit ihrem Ehemann, dem Regisseur Wolf Gremm. Was das Rezept für eine gute Ehe sei, will einmal Johannes B. Kerner von den beiden wissen. Nichts auf Hochzeitstage zu geben, antwortet Regina Ziegler. Sie hat sich an ihren nur erinnert, als sie einmal in der Firma nachfragte, wann sie und ihr Mann eigentlich gemeinsam steuerlich veranlagt wurden. Das Gemeinsame ging ohnehin weit über solche Rituale hinaus. Bis Gremm 2015 starb, verband die beiden über die Jahrzehnte eine Liebes- und Arbeitsbeziehung. Ziegler will nicht über seine lange Krebserkrankung sprechen, sagt aber, dass ihre Enkelin in der Zeit ein großer Trost für sie gewesen sei.

Sie hört auf zu reden, sie muss weiter. Die May Screenings in Los Angeles stehen an, eine Messe für internationale Fernsehproduzenten, danach geht es wieder nach Berlin zur Verleihung der "Lola". Eine Frage noch. Stimmt es, dass ihr Vater Wünschelrutengänger war? Ja, sagt Ziegler und erzählt eine letzte Geschichte. Als der Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkam, war er so schwach, dass er nicht wusste, was er arbeiten solle. Er interessierte sich für Brunnenbau, und irgendwann stellte man fest, dass er mit der Wünschelrute Wasseradern aufspüren konnte. Das tat Regina Zieglers Vater dann auch, unter anderem in Indien. Wieder etwas, das sie beeinflusst habe, sagt sie. Nur spürt sie keine Wasseradern auf, sondern Geschichten.

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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