Österreichischer Rundfunk:Jugend forsch

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"Ich mag mir auch selbst den Platz geben, mich zu entwickeln": Martin Thür im Regieraum des ORF-Nachrichtenstudios. (Foto: Thomas Ramstorfer/Picture-Alliance)

"Wir müssen die Art und Weise, wie wir über Politik berichten, den Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts anpassen", sagt Martin Thür, 36. Vorbilder hat er keine - aber ein Faible für Aktenberge.

Von Peter Münch

Er ist der neue Mann in einer neuen Sendung. Doch als er an diesem eiskalten Januarabend, an dem niemand rausgehen will in Österreich und alle vor der Glotze hocken, zum ersten Mal live im bläulich-schimmernden Studio auf dem Küniglberg steht, da sagt er nur kurz und knapp: "Guten Abend, herzlich willkommen zur ersten ZiB 2 am Sonntag. Mein Name ist Martin Thür." Keine Schnörkel, kein Schnickschnack, nicht einmal eine einprägsame Formel für die Verabschiedung hat er sich vorher ausgedacht. Es geht um die Inhalte. Das soll reichen.

Seit dem 13. Januar moderiert der 36-Jährige die neu ins Programm aufgenommene Zeit im Bild 2 am Sonntag. Der ORF erweitert mit dieser Zusatzsendung am Wochenende sein Nachrichtenangebot, und als Anchorman hat sich Österreichs öffentlich-rechtlicher Sender eine frische Kraft ins Haus geholt, die seit langem schon hoch gehandelt wird in der sonst gern auch mal gehässigen Branche.

Besonders gut macht er seinen Job in Interviews. Zum Auftakt hatte er Norbert Hofer zu Gast

15 Jahre lang hatte Martin Thür zuvor beim Privatsender ATV einiges an Lob und Lorbeer eingeheimst, unter anderem auch eine Romy, den österreichischen Film- und Fernsehpreis. Armin Wolf, der die ZiB 2 unter der Woche schon seit anno 2002 moderiert, nannte ihn mal "den richtigen Mann beim falschen Sender".

Nun ist er also beim vermeintlich richtigen Sender gelandet - und Thür selbst spricht von einem "Traumjob". Dem Privatfernsehen, so sagt er, sei er "wahnsinnig dankbar, weil ich da viel ausprobieren konnte". Schon am zweiten Arbeitstag sei er im Ministerrat gewesen, "gleich an der Front". Zugleich jedoch habe er eine "gewisse Beschränkung" gespürt. "Man muss sehr dafür kämpfen, Bedeutung zu haben." Das gelte bei den Zuschauern ebenso wie beim Bemühen, die hochkarätigen Gesprächspartner zu bekommen.

Darüber muss er sich nun weniger Sorgen machen. Die ZiB 2 ist bequemerweise konkurrenzlos, dorthin kommt fast jeder Politiker gern, und gleich am ersten Sonntag gab es fast 900 000 Zuschauer und einen Marktanteil von 29 Prozent. Das ist sogar ein Prozent mehr als beim Tatort, der unmittelbar davor lief. Thür bewertet das in der gebotenen Bescheidenheit als "große Verantwortung".

"Ein halbes Jahr hingefiebert" habe er auf die erste Sendung, sagt er, doch Nervosität ist ihm nicht anzumerken. "Wenn das Licht angeht, dann macht man seinen Job." Besonders gut macht er diesen Job bei Interviews. Gleich am ersten Sonntag hatte er den FPÖ-Minister Norbert Hofer zu Gast, den eine bisweilen seifige Freundlichkeit auszeichnet. Thür war auch freundlich, aber hart im Nachfassen. In der zweiten Sendung war die Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker geladen. Auch da war Thür in seinem Element. Er gilt als Zahlen-Fan, das "Wühlen in Aktenbergen" bezeichnet er als seine Leidenschaft.

Vergleichen lassen will er sich nicht, auch nicht mit Armin Wolf, der in Österreich als Politiker-Befrager gemeinhin das Maß aller Dinge ist. "Vorbilder finde ich schwierig, jeder hat so seinen eigenen Stil", meint er. "Ich mag mir auch selbst den Platz geben, mich zu entwickeln."

Mit großen Innovationsideen kann man beim großen ORF allerdings auch schnell vor großen Mauern stehen. Die Freiheiten beim kleinen Sender ATV hatte Thür zum Beispiel genutzt, um in der Sendung Klartext Politikerinterviews an ungewöhnlichen Orten zu führen - in Bars oder Boxclubs, in Fabrikhallen oder vor Flüchtlingszelten. "Ich probiere gern Dinge aus", sagt er. "Doch beim ORF muss man natürlich viel behutsamer vorgehen." Dass man bei der ehrwürdigen ZiB 2 einiges aufpeppen kann, lässt er trotzdem durchblicken. "Wir müssen die Art und Weise, wie wir über Politik berichten, den Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts anpassen."

Veränderung ist allerdings sowieso gerade das große Thema beim ORF, womöglich nur anders, als von der Redaktion gewünscht. Thür hat in stürmischen Zeiten auf dem Flaggschiff angeheuert. Der ORF steht unter Druck, vor allem, seitdem die FPÖ vor gut einem Jahr in die Regierung gekommen ist und gern über "unbotmäßige" Berichterstattung klagt oder mit der Abschaffung der "Zwangsgebühren" droht. Ein neues ORF-Gesetz ist in Arbeit. Solange die Regierung nichts Konkretes vorlegt, scheint sie es zu genießen, dass Unsicherheit und Ängste sprießen. "Da sind wir alle sehr gespannt, was kommt", sagt Thür. Doch mit einer eigenen Meinung will er sich hier als ORF-Neuling lieber nicht vorwagen. "Ich bin Journalist, und mein Job ist es, jeden Tag unter Beweis zu stellen, dass es den ORF und eine eigene ZiB 2-Redaktion braucht."

"Ich mache Fernsehen", so steht es als Selbstbeschreibung auf Martin Thürs Webseite. Mit dem Start im neuen Format ist er zufrieden, aber die nächste Sendung ist immer die Schwerste. "Das ist ein Marathon", sagt er, "man muss jede Woche eine gute Sendung abliefern."

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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