Öffentlich-rechtliche Plattform:Eines für alle

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Seine Vision einer öffentlich-rechtlichen Medienplattform für die Schweiz sorgt für Aufsehen: Der Journalist und Ökonom Hannes Grassegger, 39. (Foto: Horst Galuschka/dpa)

In der Schweiz diskutiert die Medienbranche die Idee eines Ökonomen: eine Plattform für Qualitätsmedien.

Von Isabel Pfaff

Auch in der Schweiz gibt es so etwas wie eine Bahncard 100, sie heißt Generalabonnement, kurz GA. Ein rotes Kärtchen, mit dem man nicht nur alle erdenklichen Züge nehmen kann, sondern auch Busse, Trams, Seilbahnen und Schiffe. Hannes Grassegger weiß, wie vertraut seinen Landsleuten dieses Konzept ist. Und so borgte sich der 39-jährige Journalist das Bild für eine Idee, die in der Schweiz gerade rege diskutiert wird.

Grassegger, dunkler Schopf, Drei-Tage-Schnauzer, ist Reporter beim Magazin des Zürcher Tages-Anzeigers, mit dem die Süddeutsche Zeitung kooperiert. Er träumt von einem Generalabonnement für Schweizer Medien: von einem sozialen Netzwerk für Nachrichten, in dem man mit einem einzigen Account Zugang zu allen seriösen Medien erhält.

Kostenpflichtige Inhalte wären in einem solchen System schnell und einfach bezahlt: Die Nutzer hinterlegen einmal ihre Zahlungsdaten und können damit alles ansehen, was sie wollen - statt mit jedem einzelnen Medium einen Vertrag abzuschließen. Ansonsten wäre alles so wie in den üblichen Netzwerken: Ein Algorithmus spielt Nutzerinnen und Nutzern die Inhalte zu, die sie interessieren, man könnte Texte, Sendungen und Videos liken, kommentieren, teilen.

Ein Parallelnetzwerk also, bestückt von allen Medienmachern, die sich den Richtlinien des Schweizer Presserats verpflichten und von einem unabhängigen Gremium kontrolliert werden. Könnte das die Lösung sein für eine Branche, der das zahlende Publikum abhandenkommt, die sowohl Nutzer als auch Werbeeinnahmen an die großen Tech-Konzerne des Silicon Valley verliert?

Tatsächlich nutzen inzwischen viele Menschen Social-Media-Plattformen als Nachrichtenquellen, in der Schweiz sollen es ganze 70 Prozent der Bevölkerung sein, wie das "Jahrbuch Qualität der Medien" des Zürcher Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft kürzlich festgestellt hat. Dabei sind Facebook, Twitter und Instagram alles andere als neutrale Plattformen. Politische Desinformation, undurchsichtige Algorithmen, das exzessive Sammeln von Daten: Soziale Netzwerke haben riesige Defizite als Nachrichtenkanal. Paradoxerweise ist das dem Publikum bewusst, nur 17 Prozent der für das "Jahrbuch" befragten Schweizer gaben an, sozialen Medien zu vertrauen.

Den klassischen Nachrichtenanbietern, also Zeitungen, Nachrichtenseiten und Rundfunk, vertrauen dagegen fast 50 Prozent. Und trotzdem geht es ebendiesen Anbietern, so sie nicht gebührenfinanziert sind, nicht gerade rosig. Bis heute fehlt eine überzeugende Lösung für rückläufige Auflagen und Anzeigenerlöse.

Die Idee eines Generalabos hat die Schweizer Medienbranche deshalb aufhorchen lassen. Nicht zuletzt, weil sie mit einem radikalen Vorschlag verknüpft ist.

Das neue Medien-Netzwerk soll ein öffentlich-rechtliches sein, betrieben von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) und damit finanziert über die Rundfunkgebühr.

Das ist bemerkenswert, immerhin ist die SRG jene Institution, die vor gar nicht so langer Zeit unter heftigen Beschuss geraten ist: Im Frühjahr 2018 hatten Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die "No-Billag-Initiative" lanciert, eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Schweizer Zwangsgebühren für Radio- und Fernsehkonsum. Die wurde deutlich abgelehnt, aber die SRG steht seither unter Reformdruck. Zu groß, zu mächtig und zu wenig ausgewogen sei sie, sagen Kritiker. Ist diese Gesellschaft wirklich die richtige, um ein neuartiges Nachrichtennetzwerk zu betreiben? "Ja, ist sie", sagt der Journalist Grassegger. "Die SRG würde ja eben keine Inhalte bereitstellen, sondern nur die Infrastruktur. Und das muss man sich so neutral vorstellen wie beim Verkehr: Die SRG baut die Straße, die Medienanbieter wiederum sind die Autos."

Ziel des Vorschlages sei es, den US-Techplattformen die Kontrolle über die Medien zu nehmen. Ganz aus dem Nichts kommt die Idee nicht. Andere Schweizer Branchenpioniere haben zuletzt ähnliche Vorschläge lanciert oder arbeiten bereits an vergleichbaren Plattformen. Der Verein Mediaforti zum Beispiel, der sich als "Koalition für Journalismus der Zukunft" bezeichnet, schlägt eine öffentlich finanzierte digitale Open-Source-Infrastruktur für private Journalismus-Anbieter vor. Wepublish.ch, eine Initiative aus Basel, arbeitet gerade daran, ein digitales Vertriebssystem für Medien aufzubauen, die selbst zu wenig Geld dafür haben. Und zwei Absolventen der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich haben die Plattform Refind gegründet, die Nutzern helfen will, das Relevante aus der unübersichtlichen News-Flut des Internets herauszufischen.

Auch die Regierung des Landes sieht offenbar deutlichen Handlungsbedarf

Fehlen noch die Medienhäuser, die sich bereit erklären, ihre Inhalte auf einer solchen Plattform zur Verfügung zu stellen. Denn bisher arbeiten die großen Verlage in der Schweiz eher am Ausbau der je eigenen digitalen Angebote.

Vor einigen Wochen gab es die überraschende Meldung, dass Tamedia, Ringier, CH Media und NZZ in einer Login-Allianz zusammengefunden haben: Ihre Online-Nutzer werden seit Mitte Oktober aufgefordert, sich zu registrieren, wenn sie gratis weiterlesen wollen. So wollen die Medienhäuser ihre Position gegenüber den Technologiekonzernen verbessern und künftig ebenfalls personalisierte Werbung und Inhalte anbieten. Ein erster Schritt der Zusammenarbeit - wenn auch noch weit entfernt von einer gemeinsamen Nachrichtenplattform.

Allerdings mehren sich auch auf der politischer Ebene die Anzeichen dafür, dass Ideen zu dem Thema im Moment auf fruchtbaren Boden fallen könnten. Vor Kurzem hat die Eidgenössische Medienkommission, ein Beratungsgremium der Schweizer Regierung, ein Diskussionspapier veröffentlicht, in dem sie eine unabhängige Zertifizierung von Journalismus fordert. So soll die journalistische Leistung hervorgehoben werden, was wiederum Nutzer davon überzeugen soll, dafür auch zu bezahlen - ganz ähnlich wie in Grasseggers News-Netzwerk, für das die Qualitätssicherung eine wichtige Rolle spielt. Und auch die Schweizer Regierung sieht offenbar Handlungsbedarf: Kommunikationsministerin Simonetta Sommaruga hat Ende August ein Maßnahmenpaket angekündigt, mit dem sie die kriselnde Medienbranche über den öffentlich-rechtlichen Sektor hinaus finanziell unterstützen will.

Hannes Grassegger erhält jedenfalls seit der Veröffentlichung seines Vorschlags unzählige Anfragen: Interviews, Vorträge, Austausch. Einige Interessenten kommen auch aus Deutschland und Österreich - Ländern, in denen klassische Medien und der öffentliche Rundfunk ähnlich unter Druck stehen wie in der Schweiz. Grasegger glaubt: "Wir könnten hier zum Testfall für Europa werden."

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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